Der zufriedene Patient ist ein gefährlicher Patient

Patientenzufriedenheit ist ein Wert, der immer wichtiger genommen wird. Aber was heisst das? Hier sehen Sie, was dabei wie wichtig ist.

, 20. August 2015 um 07:07
image
Da gibt es Unterhaltungsprogramme oder einen Hotelservice für die Angehörigen, es gibt Einzelzimmer für jedermann oder, wie neu im Kantonsspital Zug, Menus von einem Spitzenkoch: Patientenzufriedenheit ist bekanntlich zu einem zentralen Wert im Schweizer Gesundheitswesen geworden – mit ganz praktischen Folgen. Und auch die Politik neigt dazu, die Patienten und ihre ausformulierten Wünsche expliziter ins Zentrum zu stellen. 
Als ob der Patient früher eher eine Randfigur gewesen sei. 
Der Trend dürfte sich wohl verstärken, je gängiger es wird, dass Spitäler öffentlich verglichen werden. In der letzten Woche kam hier wieder ein Bewegungsschub, erstens durch die Ankündigung von Comparis, einen Spitalvergleich einzuführen. Und zweitens durch die Intensivierung der Vergleichsinformationen durch das Bundesamt für Gesundheit.
Ob diese Entwicklung medizinisch sinnvoll ist, bleibt dann eine andere Frage. Das US-Magazin «The Atlantic» griff das Thema unlängst auf und untermalte es mit dem wunderbaren Zitat eines Klinikarztes: «Patienten können sehr zufrieden sein – und trotzdem eine Stunde später tot.»

Zufriedene Patienten sind teurer

Was tönt wie ein fauler Witz hat sogar eine gewisse Basis: Denn tatsächlich kam eine grosse Studie von US-Gesundheitsökonomen 2012 zu solch einem Schluss. Patienten, die bei Feedback-Erhebungen hohe Zufriedenheitsnoten verteilt hatten, überlebten den Beobachtungszeitraum von vier Jahren seltener als Patienten, die schimpften. 
Und: Zufriedene Patienten verursachten auch höhere Betreuungs- und Medikamentenkosten. Sie wurden für dasselbe Leiden auch häufiger ins Spital eingewiesen.

Joshua J. Fenton, Anthony F. Jerant, Klea D. Bertakis et. al. «The Cost of Satisfaction. A National Study of Patient Satisfaction, Health Care Utilization, Expenditures, and Mortality», in: «JAMA Internal Medicine», März 2012.

Was definitiv zu bestätigen scheint, dass Zufriedenheit recht wenig zu tun hat mit dem medizinischen Zustand.
In «The Atlantic» deutete Studienleiter Joshua Fenton, ein Gesundheitsökonom der University of California Sacramento, die Daten so: Die Fokussierung auf Patientenzufriedenheit birgt die Gefahr, dass die Ärzte und Kliniken eher jene Therapien vermeiden, welche für die Patienten fordernd und anstrengend sind. Sie geben eher dem nach, was die Patienten wünschen.

Wer Nikotin absetzen muss, ist oft ein frustrierter Patient

Anders illustriert: Wer will denn einen Raucher entschlossen zum Aufhören drängen, wenn Patientenzufriedenheit ein Ziel des Spitals und im Jahresgespräch ein grosses Thema ist?
Doch wie äussert sich jene Zufriedenheit der Patienten? Worum geht es genau? Wie machen die Patienten selber das fest? 
Eine Antwort findet sich auf dem weltgrössten Bewertungsportal «Yelp», welches die Sternchenbewertung durch die Patienten bei Krankenhäusern stetig ausbaut (mehr dazu hier)
Auch Schweizer Kliniken werden dort inzwischen benotet. Darum wir haben einmal alle Kommentare zu helvetischen Gesundheitsinstitutionen nach den benannten Kriterien durchsucht. Insgesamt 14 Schweizer Spitäler und Kliniken haben derzeit solche Einzelzeugnisse von Ex-Patienten. 
Diese Punkte werden am häufigsten genannt:
1. «Care skills», Freundlichkeit, Service: 20 Nennungen
2. Wartezeit, Tempo, Effizienz: 18 Nennungen
3. Nebenangebote wie Parkplätze, Anfahrtsmöglichkeiten, WiFi, Park, Aussicht: 9 Nennungen
4. Essen, Hotellerie: 6 Nennungen
— Offenheit, klare Information, verständliche Beratung: 6 Nennungen
6. Informationswille, Genauigkeit, Analysequalität des medizinischen Personals: 4 Nennungen
— Logik der Abläufe, Orientierung, Verständlichkeit: 4 Nennungen
8. Diagnosequalität, Intensität der Tests. «Nehmen sich Zeit» vs, «Oberflächlichkeit»: 3 Nennungen
— Ausrüstung, technischer Standard: 3 Nennungen.
10. Hygiene: 2 Nennungen
11. Resultat, Verlauf des Heilungsprozesses: 1 Nennung.
Es zeigt sich also, dass tatsächlich die Service- und Hotellerie-Aspekte dominieren, während der Kern der Sache – ausgedrückt zum Beispiel in Urteilen über diagnostische Präzision, Analyse, Hygiene oder die Ausrüstung definitiv zweitrangig sind.
Besonders auffällig ist auch, dass nur eine Stimme einen Zusammenhang herstellte zwischen dem Resultat des Spitalbesuchs beziehungsweise der Heilung und dem Spital selber.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

GZO Spital Wetzikon: Definitive Nachlassstundung bewilligt

Damit wird dem Spital Wetzikon die benötigte Zeit eingeräumt, um das Sanierungskonzept anzugehen.

image

Das MediData-Netz: Damit alle profitieren

Die Digitalisierung im Gesundheitssystem ist dringend und bringt Vorteile für Health Professionals und Patient:innen. Die Standardisierung des Forums Datenaustauschs ermöglicht eine sichere Vernetzung und effiziente Prozesse. Das MediData-Netz ermöglicht die schnelle Implementierung neuer Lösungen.

image

Gesundheitsfördernde Materialien gesucht?

Die Wahl passender Materialien ist bei Neu- und Umbauten eine grosse Herausforderung – auch im Gesundheitsbereich. Denn diese müssen unterschiedlichen und hohen Anforderungen gerecht werden. Nicht immer ist das jahrelang Eingesetzte die beste Wahl und neue Alternativen haben es schwer.

image

Spitäler Schaffhausen: Gesamterneuerung teurer, Kosten bei 330 Millionen Franken

Dabei soll der Kanton insgesamt 130 Millionen Franken beitragen.

image

Nachhaltiger Neubau in Arlesheim: Fast alles aus Holz

Der Neubau der Klinik Arlesheim setzt auf nachhaltigen Holzbau. Mit modernster Architektur und ökologischen Materialien entsteht ein einzigartiges Gebäude, das Gesundheit und Umwelt vereint. Ein Projekt, das für die Zukunft der medizinischen Versorgung steht.

image

Spital Thusis: Zwischen Status Quo und Leistungsabbau

Soll das Spital Thusis in der heutigen Form erhalten bleiben – oder sich auf Kernbereiche beschränken? Dies die vorliegenden Szenarien. Ein Entscheid soll bis Mai 2025 fallen.

Vom gleichen Autor

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.

image

Brust-Zentrum Zürich geht an belgische Investment-Holding

Kennen Sie Affidea? Der Healthcare-Konzern expandiert rasant. Jetzt auch in der Deutschschweiz. Mit 320 Zentren in 15 Ländern beschäftigt er über 7000 Ärzte.