Spitalführungen stellen eine Vielzahl von Qualitätsvorgaben fest, die in den letzten Jahren massiv zugenommen haben: Vorgaben durch Zertifizierungsstellen, Swissmedic, BAG, kantonale Gesundheitsämter und die medizinischen Fachgesellschaften. Als Folge dessen braucht es immer mehr Personal für die Erfüllung der gleichen Arbeiten.
Mit der Umsetzung dieser neuen Anforderungen bekunden Spitalorganisationen immer mehr Mühe. Als Referenz: Für ein mittelgrosses Zentrumsspital (400 Betten, 450 Millionen Franken Umsatz) entstehen alleine an Kostenfolgen pro Jahr schätzungsweise zwischen 1 und 2 Millionen Franken. Eine effiziente Umsetzung wird oft verunmöglicht, da die Mehrkosten weniger aus Anpassungen von Prozessen resultieren, sondern oft aus Vorgaben in Bezug auf zusätzliche personelle Ressourcen.
Der Overhead an den Häusern steigt
Die Gesamtheit dieser Vorschriften steigert die Verbürokratisierung des Spitalalltags und die Personalintensität in Bereichen, die keine Erträge generieren. Damit verengt sie auch den Spielraum für wirtschaftliches Handeln der Spitalführungen, aufgrund der sich in absehbarer Zeit kaum steigerbaren Tarife. In einer Zeit, in der nur gerade ein Drittel der Spitäler die für das langfristige Fortbestehen nötigen 10 Prozent Ebitda-Marge erreichen, Tendenz sinkend, eine fatale Entwicklung.
Unbestritten ist, dass diese Vorgaben grösstenteils in der guten Absicht der Qualitätssicherung und der Erhöhung der Patientensicherheit erlassen werden. Ebenso ist aber bemerkenswert, dass der Gesetzgeber eigentlich folgendes vorgibt: Die Bestimmungen haben nicht nur «den allgemein anerkannten Standards zu entsprechen», sondern sollen auch «unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit der Leistungen» erfolgen (KVV Art. 77). Nur werden diese Aspekte der Wirtschaftlichkeit beim Erlass von Vorgaben und Zertifizierungen selten oder nie berücksichtigt.
Kompetenzdelegation per Gesetz
Nun sind es längst nicht mehr nur Amtsstellen, Behörden und Versicherer, die Nachweise von Qualitätsstandards einfordern und diesbezügliche Vorgaben erlassen. Der Gesetzgeber überträgt den Leistungserbringern oder deren Verbänden «die Erarbeitung der Konzepte und Programme über die Anforderungen an die Qualität der Leistungen und deren Förderung».
Herausfordernd ist die Tatsache, dass es im Gesundheitsbereich mehrere Dutzend Fachgesellschaften gibt, die unterschiedlich organisiert sind. Die FMH umfasst als Dachverband der Schweizer Ärzteschaft 26 Basisorganisationen und anerkennt für jedes Fachgebiet
eine entsprechende Fachgesellschaft. Basisorganisationen und anerkannte Fachgesellschaften sind in der Ärztekammer – dem Parlament der FMH – vertreten.
Ein Teil dieser Fachgesellschaften ist demokratisch organisiert und nimmt auch Inputs von aussen an. In den Vorständen der Fachgesellschaften fehlen aber Gesundheitsökonomen oder Betriebswirtschafter, die bei ihren Beurteilungen neben den fachlichen Kompetenzen auch ein Bewusstsein für die betriebsökonomischen Aspekte einbringen könnten.
Lösungsvorschlag: Einbau einer Kostenfolgeabschätzung
Die Regulierungsfolgenabschätzung
(RFA) ist ein im Bund seit längerem eingeführtes Instrument zur Untersuchung und Darstellung der wirtschaftlichen Auswirkungen von Vorlagen. Sie dient dazu, den Regulierungsbedarf, alternative Handlungsoptionen, die erwarteten Auswirkungen und die Vollzugstauglichkeit systematisch zu untersuchen.
Sind mehr als 1’000 Unternehmen oder eine ganze Branche von steigenden Regulierungskosten betroffen, müssen die anfallenden Regulierungskosten geschätzt und in erläuternden Berichten und Botschaften gemäss Botschaftsleitfaden dargestellt werden. Diese Schätzung kann im Rahmen der RFA oder auch separat durchgeführt werden. Die Erkenntnisse aus solchen Analysen leisten einen erheblichen Beitrag zu guten und faktenbasierten Entscheidungsgrundlagen und zu einer besseren Rechtsetzung.
Analog zur erfolgreich eingeführten RFA sollten alle Fachgesellschaften sowie deren Schwerpunktgesellschaften oder Arbeitsgruppen, die in ihren Bereichen Vorschriften und allgemeinverbindliche Standards definieren, vor jedem Erlass eine Kostenfolgeabschätzung für die Umsetzung ihrer Vorgaben in den Spitälern und bei den übrigen Leistungserbringern durchführen. Selbstredend, dass diese Pflicht auch für alle Vorschriften erlassenden Behörden, Amtsstellen und Versicherer zu gelten hat. Diese Kostenfolgeabschätzung dient dazu:
- den Standardisierungs- oder Regulierungsbedarf zu klären sowie die Evidenz für eine Qualitätsverbesserung darzulegen,
- alternative Handlungsoptionen zu prüfen,
- die erwarteten Auswirkungen auf Prozesse, Personalintensität und damit Kostenfolgen sowie
- die Vollzugstauglichkeit der neuen Vorgaben systematisch zu untersuchen.
Die Ergebnisse sind im Erlass darzustellen und der Regulierungsentscheid hat für die gewählte Umsetzung die vorgeschlagenen Standards, Prozeduren und Vorgaben zu begründen.
Politik muss handeln
Die Gremien, die neben dem Gesetzgeber selbst Einfluss auf die Ausgestaltung dieser oft der Qualität dienenden Selbstregulierungen nehmen könnten, sind die Verbände Hplus, FMH, die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) sowie die Versicherer resp. ihre Verbände. Sie sollten sich nicht nur über die steigenden Kosten und Prämien beklagen, sondern sich aktiv an der Gestaltung eines wirtschaftlich effizienteren Gesundheitssystems beteiligen.
Die über 100 Spitäler der Schweiz sind ein unverzichtbarer Kern unserer Gesundheitsversorgung und generieren erheblichen volkswirtschaftlichen Nutzen. Es besteht somit ein eminentes Interesse daran, dass sie qualitätssteigernde Massnahmen und Vorgaben betriebswirtschaftlich verträglich umsetzen können.
Daniel Heller ist Partner bei Farner Consulting AG. Er präsidiert das Kantonsspital Baden und die Spezialklinik Barmelweid. Daneben hält er verschiedene Verwaltungsratsmandate im Finanz- und Startup Bereich. Er hatte in Zürich Geschichte, Wirtschaftsgeschichte und Politikwissenschaften studiert und zum Dr. phil. promoviert.