Zuerst ein paar Zahlen: Gemäss Szenarien des Bundesamts für Statistik wird die Zahl der jährlichen Todesfälle bis im Jahr 2045 um 50 Prozent zunehmen - von heute rund 60'000 auf über 90'000 Todesfälle im Jahr. Und: In rund 70 Prozent der Todesfälle geht eine mehr oder weniger lange Phase der Krankheit oder der zunehmenden Gebrechlichkeit voraus. Sie kommen nicht unerwartet und könnten frühzeitig und vorausschauend vorbereitet werden.
Aufgrund dieser Zahlen schliesst der Bundesrat folgendes Fazit: «Mit den heutigen Strukturen im Gesundheitswesen wird es nicht möglich sein, die zunehmende Anzahl sterbender Menschen und ihre Angehörigen angemessen zu behandeln und zu betreuen.» Das geht aus einem 92-seitigen Bericht vom 18. September 2020 hervor. Mit diesem Bericht erfüllte der Bundesrat ein Postulat der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-S) vom 26. April 2018.
Auf den Bericht folgt die Motion
Was jetzt? Ein Bericht ist nur ein Bericht. Es werden detailliert Probleme aufgezeigt und mögliche Handlungsanweisungen skizziert. Erreicht ist damit noch nichts. Deshalb reichte die SGK-S am 19. Oktober 2020 eine Motion ein mit dem Titel: «Für eine angemessene Finanzierung der Palliative Care». Berichterstatterin ist die Tessiner SP-Ständerätin Marina Carobbio Guscetti, ihres Zeichens auch Präsidentin von Palliative.ch.
Nach dem Ständerat hatte am 16. Juni 2021 auch der Nationalrat die Motion überwiesen und damit den Bundesrat beauftragt, «die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit eine bedarfsgerechte Behandlung und Betreuung aller Menschen am Lebensende schweizweit gewährleistet ist, unter Berücksichtigung der allgemeinen und spezialisierten Angebote der Palliative Care in allen Versorgungsbereichen, ambulant, stationär sowie an den Schnittstellen. Die Kantone sind in geeigneter Weise einzubeziehen.»
Konkrete Massnahmen erst Ende 2023
Wo stehen wir in diesem Prozess? Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) koordiniert die Arbeiten zur Umsetzung der Motion. In einem ersten Schritt wurden Grundlagen erarbeitet; in der zweiten Phase, bis Herbst 2023, sollen die Daten analysiert werden. Da gilt es den grundsätzlichen Bedarf nach Palliativ-Care-Leistungen abzuklären und auf dessen Grundlage den Finanzierungsbedarf zu ermitteln. Bis Ende 2023 sollten dann Lösungsvorschläge erarbeitet und «wo nötig möglichst konkrete Massnahmen abgeleitet und deren Kostenwirkungen eingeschätzt werden», wie das BAG auf Anfrage erläutert.
Und da gibt es noch eine aktuelle Interpellation des Urner Ständerats Josef Dittli, die in der laufenden Session behandelt wurde. Der Noch-Präsident von Curafutura wollte vom Bundesrat unter anderem wissen, bis wann eine Aktualisierung der Kostenprognosen von verschiedenen Versorgungsmodellen für die Jahre 2030, 2040, 2050 vorzunehmen gedenke.
Zuständig sind die Kantone
In seiner schriftlichen Stellungnahme verweist der Bundesrat auf diverse Berichte, in denen die Antworten auf Dittlis Fragen zum Teil zu finden wären. Er schreibt zudem: «Sowohl in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege wie bei der Hilfe zu Hause liegt die Sicherstellung der Versorgung mit Betreuungsleistungen im Grundsatz in der Zuständigkeit der Kantone».
Josef Dittli zeigte sich mit dieser Antwort nur teilweise befriedigt und wünschte letzte Woche in der Ratsdebatte das Wort. Es könne der Eindruck entstehen, so Dittli, dass der Bund den Lead bei den Kantonen sieht und sich nur subsidiär einbringen möchte. «Ich hätte mir gewünscht, dass der Bundesrat hier etwas mehr Leadership gezeigt hätte.»
Diesen Vorwurf weist Bundesrat Alain Berset entschieden zurück und verweist auf die zahlreichen Anstrengungen des Bundesrats in dieser Sache, was sich zumindest in der Zahl der publizierten Berichte leicht nachvollziehen lässt.
Auch der Monismus kommt nicht vom Fleck
Und was die Prognosen zu den künftigen Kosten betrifft, müsste der Bundesrat erst wissen, inwiefern der Gesetzgeber beabsichtigt, das geltende Finanzierungsregime anzupassen. Zu denken sei an die parlamentarische Initiative «Finanzierung der Gesundheitsleistungen aus einer Hand. Einführung des Monismus».
Lanciert wurde sie vor über zehn Jahren, im Dezember 2009. Es geht darum, stationäre und ambulante Leistungen einheitlich zu finanzieren. Bremser sind auch hier die Kantone. Es geht auch darum, wieweit Pflegeleistungen analog der stationären und ambulanten Behandlungen einheitlich finanziert werden sollen.
Die genannte parlamentarische Initiative zum Monismus war für Dienstag, 20. September, im Ständerat traktandiert gewesen. Wie schon in der Revision des beruflichen Vorsorgegesetzes (BVG) macht die SGK-S auch hier eine traurige Figur.
Sie will ein wiederholtes Mal prüfen lassen, ob und wie sich die Anliegen der Kantone und der Versicherer möglichst weitgehend in Einklang bringen lassen, Das erklärte sie am 8. September nach der Kommissionssitzung. Womit die Behandlung der Inititiative abermals verschoben werden musste.
Solange die Kantone blockieren, ist es nicht zielführend, vom Bund Leadership zu fordern und Kostenprognosen zu erwarten. Fazit: Viel Papier, viele politische Vorstösse, beängstigende Perspektiven, praktisch keine konkreten Massnahmen.