Ihre jahrzehntelange Berufserfahrung würde einer Anästhesiepflegerin fast zum Verhängnis. Sie stand vor Gericht, weil sie vorsätzlich getötet haben soll. Dabei wollte sie nur eine sterbewillige Patientin vor Schaden bewahren.
Doch von Anfang an: Die Pflegefachfrau hatte als Angestellte von Exit vor anderthalb Jahren in Bern eine Frau beim Freitod begleitet. Die betagte Frau war nach einer Hirnblutung gelähmt und ohne Aussicht auf Besserung.
Infusion eigenhändig ausgelöst
Die Anästhesiepflegerin legte, wie das die Frau verlangte, eine Infusion in deren Arm, damit sich diese das Sterbemedikament Natrium-Pentobarbital selbst verabreichen konnte. Die Patientin löste die Infusion eigenhändig aus. Der Tod tritt in der Regel innert weniger Minuten im Tiefschlaf ein.
Bis hier lief alles normal und juristisch korrekt ab. Doch plötzlich merkte die Pflegefachfrau, dass die Infusion teilweise unter die Haut der sterbenden Frau floss. Schnell steckte sie den Infusionsschlauch in den anderen Arm, damit sie besser einläuft.
Wie aktiv war das Umstecken?
Die Berner Staatsanwaltschaft warf der Pflegerin deshalb vor, dass sie aktiv in den Sterbeprozess eingegriffen habe. Denn die Frau sei erst nach dem Umstecken der Infusion gestorben. Ob die Frau vorher sterbewillig gewesen sei oder nicht, spiele keine Rolle. In der Schweiz ist aktive Sterbehilfe verboten.
Dass die Pflegefachfrau plötzlich eine vorsätzliche Tötung begangen haben soll, nur weil sie fachgerecht eine Infusion umsteckte, belastete die Angeklagte in den letzten Monaten stark.
Sie wollte vor Schaden bewahren
Vor Gericht verteidigte sie ihr Vorgehen. Sie habe die Patientin vor einem grossen Schaden bewahren wollen. «Ich hatte Angst, dass sie mit einem Hirnschlag überlebt, dass ihr Zustand schlimmer ist als vorher», sagte sie laut der «Berner Zeitung» vor Gericht.
Die Frau hätte auch im Wachkoma liegen bleiben können und hätte keine Möglichkeit mehr gehabt, selbstbestimmt ihr Leben zu beenden, argumentierte die Angeklagte.
Guten Grund gehabt
Das Gericht fand, dass das Umstecken tatsächlich eine eigenständige Handlung gewesen sei und die Pflegerin damit unter Umständen den Tod der Frau aktiv herbeigeführt habe. Und trotzdem sprach es die Angeklagte frei. Denn sie habe einen guten Grund für ihr Handeln gehabt.
Sie wollte die unmittelbare Gefahr abwenden, dass es der Patientin schlechter gehe als zuvor. Die Anästhesiepflegerin erhielt schliesslich als Genugtuung für das belastende Verfahren vom Regionalgericht Bern-Mittelland auch noch 1000 Franken zugesprochen.
Der Fall der Ärztin Erika Preisig
Schon vor anderthalb Jahren stand eine medizinisch ausgebildete Sterbehelferin vor Gericht: Erika Preisig begleitete den Freitod einer 66-jährigen, psychisch angeschlagenen und suizidalen Frau. Preisig hat als Ärztin und Präsidentin der Sterbehilfeorganisation Eternal Spirit der Frau Sterbehilfe geleistet, ohne dass sie ein unabhängiges psychiatrisches Gutachten zur Urteilsfähigkeit der Patientin eingeholt hatte.
Das Baselbieter Kantonsgericht verurteilte Erika Preisig wegen mehrfacher Widerhandlungen gegen das Heilmittelgesetz zu einer Busse. Auch sie wurde vom Anklagepunkt der vorsätzlichen Tötung freigesprochen.
Bei diesem Urteil strittig war vor allem die Urteilsfähigkeit der Patientin. Ein richterliches Gutachten befand, dass die Frau nicht urteilsfähig gewesen sei. Preisig sagte hingegen, dass die Patientin auch stark unter körperlichen Beschwerden gelitten habe. Die unbehandelbaren körperlichen Leiden seien letztlich Ursprung des Todeswunsches gewesen.