Auf diese Behandlungen sollten Kinderärzte verzichten

Kinderärztinnen und Kinderärzte in der Schweiz raten von fünf medizinischen Massnahmen ab. Der Grund: In der Regel seien diese unnötig – und sogar gefährlich.

, 9. August 2021 um 07:25
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Mehr ist auch in der Kindermedizin nicht immer ­besser. Im Gegenteil: Gewisse Untersuchungen und Behandlungen sind unnötig und können auf Grund von Nebenwirkungen sogar schädlich sein. Die Fachgesellschaft Pädiatrie Schweiz hat deshalb fünf Massnahmen definiert, auf die Kinder- und Jugendärzte in der Regel verzichten können. 
Die Gesellschaft der Kinderärztinnen und Kinderärzte empfiehlt in ihrer in der «Schweizerischen Ärztezeitung» publizierten «Top-5-Liste» folgende Interventionen in der Pädiatrie zu vermeiden:
1. Starten Sie bei leicht bis mässig dehydrierten Kindern nicht eine intravenöse Therapie, bevor eine orale Rehydrierung versucht worden ist.
Die enterale Rehydrierung per os oder via Magensonde mit einer oralen Elektrolytlösung ist ebenso wirksam wie die intravenöse Rehydrierung und mit weniger schwerwiegenden Nebenwirkungen assoziiert. In vielen hochentwickelten Ländern kann bei leichter Dehydratation die Verwendung von verdünntem Apfelsaft oder anderen vom Kind bevorzugten Flüssigkeiten (zum Beispiel Muttermilch) eine geeignete Alternative zu Elektrolytlösungen sein. Die erfolgreiche Platzierung eines venösen Zugangs ist bei dehydrierten Kindern häufig schwierig und kann mehrere Versuche ­erfordern, was die Rehydrierung zusätzlich verzögert.
In einigen Übersichtsarbeiten liegt die Häufigkeit des Versagens der enteralen Rehydrierung bei Kindern mit Durchfall und Erbrechen bei fünf Prozent, bei alleinigem Durchfall sogar niedriger.
2. Behandeln Sie eine akute Otitis media bei Kindern nicht routinemässig mit einem Antibiotikum.
Vermeiden Sie den routinemässigen Einsatz von Antibiotika bei unkomplizierter akuter Otitis media (Mittelohrentzündung) bei Kindern über sechs Monaten, da eine akute Otitis media in der Regel die Folge einer ­viralen Infektion der oberen Atemwege ist. Eine kli­nische Neubeurteilung nach 24 bis 48 Stunden unter adäquater analgetischer Therapie ist empfohlen. In den meisten Fällen kommt es zu einer spontanen Besserung der Symptome und schwere Komplikationen sind selten. Der Einsatz von Antibiotika kann resistente Bakterien fördern und Nebenwirkungen verur­sachen, verhindert schwere Komplikationen aber nicht.
3. Verwenden Sie keine Hustenmedikamente bei Kindern.
Husten ist im Allgemeinen ein normaler Abwehr­mechanismus des Körpers. Es wurde gezeigt, dass sowohl chemische wie pflanzliche Hustenmedikamente gegen Erkältungen nicht wirksam sind und potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen haben können. Viele Produkte enthalten mehr als einen Inhaltsstoff, was das Risiko einer Überdosierung erhöht, vor allem wenn sie mit anderen Medikamenten kombiniert ­werden.
4. Verwenden Sie bei Säuglingen mit Bronchio­litis nicht routinemässig Steroide oder Bronchodilatatoren.
Systemische oder inhalative Steroide haben weder ­einen positiven Effekt auf die Hospitalisationsrate noch auf die Dauer des Krankenhausaufenthalts bei Säuglingen mit Bronchiolitis.
Zudem zeigt die Evidenz, dass Bronchodilatatoren wie Salbutamol bei Säuglingen mit Bronchiolitis weder die Sauerstoffsättigung verbessern, die Krankenhauseinweisungen oder die Dauer des Krankenhausaufenthalts reduzieren noch die Zeit bis zum Abklingen der Erkrankung verkürzen. Salbutamol kann unerwünschte Nebenwirkungen wie Tachykardie, Verschlechterung der Sauerstoffsättigung und Tremor verursachen.
5. Verwenden Sie Säureblocker nicht routine­mässig zur Behandlung des gastroösophagealen Reflux bei Säuglingen.
Gastroösophagealer Reflux (GÖR) ist ein physiologischer Prozess und erfordert bei Säuglingen keine Behandlung mit Säureblockern. Die Säuresuppression verbessert weder unspezifische Symptome wie exzessives Schreien noch Aufstossen/Spucken. Der Einsatz von Säureblockern wie Protonenpumpeninhibitoren (PPI) und H2-Rezeptorantagonisten kann zu Nebenwirkungen wie häufigeren Infektionen der unteren Atemwege, Veränderungen der Darmflora oder verzögerter Magenentleerung führen und ist mit einer verminderten Knochenmineralisierung verbunden.
Wenn der Rückfluss von Mageninhalt den Alltag beeinträchtigende Symptome verursacht oder zu Komplikationen führt, liegt eine gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) vor. Ein Therapieversuch mit PPI sollte bei Säuglingen nicht als diagnostischer Test für GERD verwendet werden.

Immer mehr «unnütze» Behandlungen

Die Empfehlungen der Kinderärztinnen und Kinderärzte sind im Rahmen der Kampagne «Smarter Medicine» entstanden. Damit will der Verein «Smarter Medicine – Choosing Wisely Switzerland» das Bewusstsein für die Problematik der Über- oder Fehlversorgung sensibilisieren. 
Verschiedene medizinische Fachgesellschaften haben bereits Listen mit unnützen Behandlungen in ihrem Fachbereich erstellt. In den nächsten Monaten werden weitere Fachbereiche sogenannte «Top-5-Listen» publizieren. 
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