Kopfschmerzen sind weit verbreitetet und gehören mit zu den häufigsten Ursachen für den Bezug von Invalidenrenten. Trotzdem werden sie oft nicht ernst genug genommen. Die Folge: Sie werden nicht richtig behandelt, obwohl dies bei einer frühzeitig gestellten Diagnose meistens einfach wäre. Im Alltag wenden sich Kopfschmerzgeplagte mit ihrem Problem an unterschiedliche Anlaufstellen: Viele lassen sich in der Apotheke beraten, andere suchen direkt den Hausarzt auf. Klingen die Schmerzen dann wieder ab, so reicht das völlig aus. Treten Kopfschmerzen hingegen häufig auf oder werden sogar chronisch, bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit unter Einbezug von Spezialisten verschiedener Fachrichtungen.
Apotheker hat Schlüsselrolle
Dabei kommt laut dem Referenten Dr. Philippe Luchsinger dem Apotheker eine Schlüsselrolle zu: Er übernimmt eine Triage-Funktion und ist in vielen Fällen für die Erstabklärung zuständig. Gleichzeitig kann er die Therapie überwachen und bei Bedarf den Hausarzt oder einen Neurologen und Psychologen hinzuziehen. Gleichzeitig kann auch der Patient seinen Beitrag zum Therapieerfolg leisten, indem er regelmässig ein Kopfschmerztagebuch führt. Gemäss Pharmazeutin Denise Hugentobler steht eine evidenzbasierte Medizin im Vordergrund. Entscheidungen sollen wenn immer möglich auf der Grundlage von tatsächlich nachgewiesener Wirksamkeit getroffen werden. Ziel ist es, ineffiziente Behandlungsmethoden zu verhindern sowie die Qualität und Sicherheit der Behandlung zu erhöhen.
Herausforderung: Migräneprophylaxe
Insbesondere bei der Migränebehandlung kommen neue, vielversprechende Medikamente zum Tragen. Und das ist durchaus relevant: Allein in der Schweiz wird von rund einer Million Migränepatienten ausgegangen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Migräne als eine der am meisten einschränkenden Erkrankungen weltweit klassifiziert. Dabei haben etwa 25 bis 30 Prozent aller Patienten so häufige und schwere Migräneattacken, dass sie eine Migräneprophylaxe benötigen. Pharmazeutin Dr. Colette Andrée erklärt, dass eine medikamentöse Migräne-Prophylaxe ab etwa vier Schmerztagen pro Monat empfohlen wird. Ansonsten kommen nicht medikamentöse Therapien wie Entspannungsverfahren, Biofeedback oder Ausdauersport zum Tragen. Diese zeigen gute Erfolge, wenn sie regelmässig ausgeführt werden. Laut Dr. Andrée liegen inzwischen sogar Daten vor, die zeigen, dass regelmässiger Ausdauersport genauso wirksam sein kann wie eine tägliche Pilleneinnahme.
Volkswirtschaftliche Bedeutung
Jährlich verursacht die Migräne in der Schweiz schätzungsweise 600 Millionen Franken direkte und indirekte Kosten. Die ärztlichen und medikamentösen Behandlungskosten machen nur rund 15 Prozent aus. Viel erheblicher sind die indirekten Kosten als Folge der vollständigen oder teilweisen Arbeitsunfähigkeit.
Antikörpertherapie zeigt gute Erfolge
Eine neue Generation von Medikamenten macht nun vor allem schwer betroffenen Migränepatienten Hoffnung: Monoklonale Antikörper. Hierbei blockieren Antikörper die Andockstellen für ein köpereigenes Eiweiss namens CGRP (Calcitonin Gene Related Peptide), welches unter anderem an der Übertragung von Schmerzreizen beteiligt ist. Bereits vor einigen Jahren konnte ein erhöhter Spiegel dieses Eiweisses bei Patienten während einer Migräneattacke nachgewiesen werden. Der Vorteil der Therapie: Die Applikation erfolgt alle 1–3 Monate subkutan und zeigt bereits nach wenigen Wochen erste Wirkung.
Keine Nebenwirkungen
Im Gegensatz zu den bisherigen Substanzen, die teilweise erhebliche Nebenwirkungen mit sich bringen, wird die Antikörpertherapie ausgesprochen gut vertragen. Es ist das erste Prophylaxe-Medikamente, das auch wirklich gegen Migräne entwickelt wurden. Alle bisher für Migräne verfügbaren Substanzen sind Zufallsentdeckungen, die ursprünglich für andere Beschwerden entwickelt wurden. Die Prophylaxe hat nicht ein komplettes Verschwinden der Kopfschmerzen zum Ziel, sondern eine realistische Schmerzreduktion um 50 Prozent. Ebenso soll damit das Ansprechen auf die Akut-Medikamente verbessert werden.
Derzeit einziger Wermutstropfen der neuen Therapie ist der Preis. Zwar laufen die Preisverhandlungen zwischen dem Hersteller Novartis und dem Bundesamt für Gesundheit(BAG) noch, jedoch dürften die Jahreskosten über 6000 Franken pro Patient betragen. Ebenso ist die Rückerstattung seitens der Kostenträger noch nicht vollständig geklärt.