Die Zahlen sind bekannt: Die Kosten für unser Gesundheitswesen betragen mittlerweile jährlich mehr als 80 Milliarden Franken, was einer knappen Verdoppelung innert 20 Jahren gleichkommt. Damit tragen die Gesundheitskosten inzwischen über 12 Prozent zum Bruttoinlandprodukt (BIP) bei. Dass gehandelt werden muss, ist allen klar, das wie hingegen stellt die Beteiligten vor gewaltige Herausforderungen. Dies wurde auch am 8. Forum Gesundheitswirtschaft deutlich. «Unser Gesundheitswesen ist ein wichtiger Wirtschaftszweig, es ist ein zentrales Element unseres Sozialversicherungssystems und es ist zweifelsfrei ein wichtiger Teil unseres Lebens. Aber es ist zu unübersichtlich und zu komplex», betont der Politwissenschaftler Claude Longchamp.
Diskussion neuer Ansätze
Gründe für die Kostensteigerung sind vordergründig trotzdem rasch gefunden und kreisen meist um simple Schlagworte: da ist von Simulanten die Rede, von ausufernder Bürokratie, der aufgeblähten Verwaltung von Krankenkassen, von hohen Arzthonoraren und der zunehmenden Alterung. «Man könnte es populistisch nennen“, sagt Longchamp und meint damit die Erwartung, dass sich komplexe Probleme einfach lösen liessen, wenn man nur wolle. Ein gewaltiger Irrtum! Denn wirksame Lösungen werden händeringend gesucht. Der Wunsch aller: Die Leistungen des Gesundheitswesens sollen weiter verbessert werden, ohne dass die Kosten in die Höhe getrieben werden. Laut Longchamp reichen Optimierungen alleine nicht aus, vielmehr müsse auch «outside the box» gedacht werden. Dazu ist die Diskussion ganz neuer Ansätze nötig.
Lösung: Standardisierung?
Was in der Industrie seit Jahrzehnten praktiziert wird, kommt erst sehr langsam im Gesundheitswesen an: die Standardisierung. Peter Eichenberger, CEO Claraspital Basel sagt: «Wenn wir überleben möchten, gibt es nur eines: wir müssen standardisieren, Kosten senken und industrielle Prozessüberlegungen mit ins Gesundheitswesen einbauen.» Denn: der Kostendruck und die Notwendigkeit zur Produktivitätssteigerung erhöhen sich massiv. Gleichzeitig fordern die zunehmende Transparenz, Benchmarks und Hitlisten die Spitäler viel mehr heraus als noch vor wenigen Jahren. Im Zeitalter der Patientenfreizügigkeit werden die Spitäler zusehends gezwungen, sich stärker als bisher zu überlegen, welche Kernleistungen erbracht werden sollen und auf welche verzichtet werden kann. «Wir müssen Schwerpunkte bilden, die letztlich höhere Fallzahlen als bisher vereinen», betont Eichenberger. Denn auch der Spezialisierungsdruck fördert und ermöglicht Standardisierung und höhere Produktivität.
Lean Production abgekupfert aus Industrie
Lean Hospital, abgeleitet aus Lean Production, ist denn eines der grossen Schlagworte, wenn es um Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen geht. Als Paradebeispiel nennt Regierungsrat Lukas Engelberger das Toyota Produktionssystem TPS, das zum Ziel hat, jede Art der Verschwendung zu vermeiden. «Das TPS ist inzwischen auch ein Vorbild für das Gesundheitswesen. Das Ziel ist gleichermassen simple wie anspruchsvoll: hohe Produktivität bei höchster Produktequalität und pünktlicher Lieferung», sagt Engelberger. Auf ein Schweizer Spital übertragen bedeutet das: möglichst hohe Patientenzufriedenheit bei qualitativ guter Versorgung zu niedrigem Preis. Die Prinzipien, die zum Erreichen dieser Ziele führen sind die gleichen: Synchronisierung und Standardisierung der Prozesse, Qualifizierung und Training der Mitarbeitenden, Vermeidung von Fehlern, kontinuierlicher Verbesserungsprozess. Unterstützt werden diese Bestrebungen durch die immer neuen Möglichkeiten, welche die Digitalisierung eröffnen.
Befürchtung eines Qualitätsverlustes
Alles in Ordnung also? Nein, meint Claude Longchamp. Er zweifelt daran, dass die Qualität dabei langfristig gesichert werden kann. Vielmehr glaubt er eine schleichende Tendenz des Qualitätsverlustes im Gesundheitswesen zu erkennen. «Dieser ist derzeit zwar nicht dramatisch, aber er ist tendenziell vorhanden», befürchtet er. Ein möglicher Grund: Die Optimierer drehen zu stark an der Effizienzschraube. Für Longchamp ist klar, dass wir uns mitten in einem Paradigmenwechsel befinden, von dem niemand so genau weiss, wohin er uns führen wird: «Der worst case wäre, dass es zu einem Knall kommt, das alte nicht mehr gilt, ohne, dass irgendjemand das neue kennt.»
Fazit: Der Markt und das Umfeld verlangen Produktivitätssteigerungen und mehr Transparenz bezüglich der Ergebnisqualität in der Medizin. Standardisierung ist dabei ein vielversprechender Ansatz. Inwieweit dieser langfristig umgesetzt werden kann und wie erfolgreich er tatsächlich sein wird, steht indes noch in den Sternen.