Fast 40 Prozent der berufstätigen Ärzte in der Schweiz stammen aus dem Ausland. Was macht das Land so attraktiv für ausländische Ärzte?
Jan Saner: Die Schweiz hat im Ausland einen sehr guten Ruf – und das nicht nur wegen der hohen Löhne. So berichten uns deutsche Ärzte, dass sie deutlich mehr abrechenbare Zeit pro Patienten haben und dass die (Arbeits-)Qualität in den Spitälern höher ist. Das Schweizer Gesundheitswesen wird generell als sehr gut eingestuft.
Francesca Saner: Natürlich spielen auch die guten Verdienstmöglichkeiten in vielen Fachbereichen eine entscheidende Rolle. Hinzu kommt die hohe Lebensqualität in der Schweiz, kurze Distanzen und eine zumeist bessere Work-life-Balance.
Eine Studie des BAG zeigt, dass die Work-Life-Balance im internationalen Vergleich bei Schweizer Ärzten am besten ist: 72 Prozent sind entweder sehr oder einigermassen zufrieden damit. Der Wert ist fast doppelt so hoch wie jener in Deutschland. Mit welchen Erwartungen kommen ausländische Ärzte in die Schweiz Francesca Saner: Teilweise sind die Erwartungen unrealistisch. Die Vorstellung, dass hier ‘Milch und Honig’ beziehungsweise Schokolade fliesst, entspricht nur bedingt der Realität. Wir sind nicht einfach so ein vermögendes Land, sondern arbeiten hier viele Stunden – das muss man wollen und können und sich entsprechend einsetzen.
Jan Saner: Manche vergessen auch, dass die Lebenshaltungskosten in der Schweiz deutlich höher sind als im Herkunftsland. Zudem kann sich nicht jeder mit der Schweizer Kultur anfreunden.
«Wer sich für einen Job in der Schweiz interessiert, sollte sich unbedingt mit den hiesigen Gepflogenheiten auseinandersetzen und pro und contra sorgsam abwägen.»
Aus welchen Ländern stammen ausländische Ärzte mehrheitlich?
Jan Saner: Der Grossteil der ärztlichen Fachkräfte mit einem ausländischen Diplom kommt aus Deutschland (51,0 Prozent), gefolgt von Italien (9,4 Prozent), Frankreich (7,2 Prozent) und Österreich (6,0 Prozent).
Werden ihre Diplome und Weiterbildungstitel in der Schweiz anerkannt?
Francesca Saner: Diplome und Weiterbildungstitel aus der EU/EFTA werden gemäss dem Personenfreizügigkeitsabkommen anerkannt – mittels einer direkten oder indirekten Anerkennung. Mitglieder aus Nicht-EU/EFTA-Staaten können ihr Arztdiplom registrieren lassen. Ausserdem müssen die notwendigen Sprachkenntnisse (Niveau B2) in der Amtssprache des jeweiligen Kantons nachwiesen werden, in dem man arbeiten will. Je nach Fach und Fall können die Kantone einen Sprachnachweis auf Niveau C1 verlangen (Beispiel: OKP-Zulassung ).
Francesca und Jan Saner haben sich mit
Sanerexperts auf die Vermittlung von Ärzten aus der EU in die Schweiz spezialisiert. Sie pflegen ein Europa- und Schweizweites Netzwerk an Ärzten, Klinikdirektoren und Mitarbeitern im Gesundheitswesen und begleiten Ärzte von der Jobsuche bis zum Umzug in die Schweiz.
Stichwort Sprachkenntnisse – immer wieder hört man von folgenschweren Missverständnissen wegen mangelnder Verständigung. Ist das Schweizerdeutsch eine Hürde?
Francesca Saner: Manchmal schon; das kommt natürlich auch sehr auf den Dialekt an. Aus Erfahrung ist mit einer «Einhör-Zeit» von etwa einem halben Jahr zu rechnen. Zugleich unterschätzen manche Ärzte aber auch, dass die Schweiz eine andere Sprach-, Lebens- und Arbeitskultur hat, ebenso ein anderes Sozialsystem. Die Vorstellung, dass sie die Medizin aus dem Herkunftsland Eins zu Eins praktizieren können, funktioniert oftmals nicht.
Sie begleiten ausländische Ärzte bei der Übersiedlung in die Schweiz. Welche Fragen sollten vorab geklärt werden?
Jan Saner: Wir klären im Erstgespräch, welche Vorstellungen der Arzt oder die Ärztin von der Schweiz hat und was bereits über das Land bekannt ist. Ebenso, was sich von der zukünftigen Arbeitsstelle versprochen wird und wie das Umfeld aussehen soll: eher ländlich oder städtisch, Berge und Seen, Distanzen? Zudem ist die Schweiz nicht für jeden Arzt interessant.
«Die Vorstellung, dass die Medizin aus dem Herkunftsland Eins zu Eins in der Schweiz praktiziert werden kann, funktioniert oftmals nicht.»
Francesca Saner: In der Chirurgie beispielsweise gibt es kaum eine Nachfrage für ausländische Ärzte. Zugleich ist die Schweiz wegen ihrer Grösse auch nicht besonders interessant für ausländische Chirurgen – wer Karriere machen möchte, orientiert sich zumeist an den Fallzahlen und diese sind im Vergleich zu anderen Ländern eher tief.
In welchen Fachbereichen werden Ärzte derzeit besonders gesucht?
Jan Saner: Die Nachfrage an Ärzten der Inneren Medizin mit ihren verschiedenen Fachrichtungen ist besonders gross. Ebenso wird besonders in der Kinder- und Jugendmedizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Erwachsenenpsychiatrie gesucht.
Die Schweiz hat nach Israel den zweithöchsten Ausländeranteil in der Ärzteschaft unter den OECD-Ländern. Im Praxissektor beträgt der Anteil der Ärzte aus dem Ausland 38,1 Prozent, im Spitalsektor 40,9 Prozent.
Welche Tipps haben Sie, damit die Auswanderung in die Schweiz ein Erfolg wird?
Jan Saner: Eine gute Vorbereitung ist das A und O – sich informieren, Kliniken und Praxen anschauen, mit dem Chefarzt und Kollegen sprechen und sich hinterfragen, weshalb man diesen Schritt machen möchte: Ist es nicht einfach ein Schnellschuss, aus einer aktuellen Unzufriedenheit heraus?
Muss es ein Umzug in ein anderes Land sein? Was erwarte ich vom neuen Land und von der neuen Arbeitsstelle? Sehe ich eine längerfristige Perspektive , auch wenn es vielleicht nicht die perfekte Stelle ist?
Francesca Saner: Wir machen die Erfahrung, dass ein Wechsel in die Schweiz dann gelingt, wenn sich jemand Zeit nimmt für die Vorbereitung und sich später auch privat am Ort vernetzt.