Triple-X-Test stürzt Schwangere in Gewissensnöte

Ein harmloser vorgeburtlicher Test versetzt werdende Mütter in grosse Verzweiflung: Plötzlich müssen sie entscheiden, ob sie ein an sich gesundes Mädchen überhaupt auf die Welt bringen sollen.

, 14. August 2019 um 09:59
image
  • ärzte
  • gynäkologie
  • pränataler test
Schwangere können mit einfachen Bluttests – so genannten nicht-invasiven pränatalen Tests (NIPT) – immer mehr über das Erbgut ihres künftigen Kindes erfahren. Gut? Nein. Manche Mütter würden lieber weniger erfahren. Denn gewisse Resultate können Schwangere in ungeahnte Entscheidungsnöte bringen.
«Meine Tochter hat wahrscheinlich das Triple-X-Syndrom»: Mit diesem Resultat eines vorgeburtlichen Tests meldete sich kürzlich eine 40-jährige werdende Mutter bei Appella, einer unabhängigen und anerkannten Beratungsstelle für vorgeburtliche Untersuchungen.

Die Frau wusste nicht, was sie genau testen liess

Die Frau war völlig überrumpelt vom Bescheid. Denn sie war sich nicht bewusst, was sie für einen Test hat machen lassen. Und hätte ihn vermutlich lieber gar nicht gemacht. Denn ein Genetiker erklärte ihr, was es bedeutet, wenn Mädchen mit einem dreifachen X-Chromosom auf die Welt kommen.
Was der Mutter besonders in Erinnerung blieb: Ihrem Kind drohe eine Psychose und es könnte lebenslang auf Betreuung angewiesen sein. Zerrissen von ihren Gefühlen für und gegen ihr Kind wusste sie nicht, ob sie die Schwangerschaft nun unterbrechen sollte oder nicht.

Die meisten Frauen mit drei X-Chromosomen wissen gar nichts davon

Das Problem: Das Triple-X-Syndrom ist keine schwere Chromosomen-Anomalie. Den meisten Mädchen sieht man nicht an, dass sie drei X-Chromosomen haben. Die Mehrheit von ihnen leben damit, ohne das zu wissen. Denn die Auswirkungen des überzähligen Chromosoms sind oft so schwach, dass sie gar nicht auffallen.
Eine schwere Psychose, wie sie der Genetiker der betroffenen Mutter prophezeite, ist selten. «Die Frau hat ein Zerrbild des Syndroms erhalten», kritisiert Franziska Wirz, Leiterin von Appella. Sie lehnt es ganz klar ab, dass ein positiver Triple-X-Test der Grund für einen Schwangerschaftsabbruch sein kann.

«Schwangere haben ein Recht auf Nichtwissen»

Dass es einen solchen Test gibt, ist für Franziska Wirz kein Grund, dass er angewendet wird. «Es gibt ein Recht auf Nichtwissen», betont sie. Das berücksichtigen vermutlich auch die meisten Frauenärztinnen und Frauenärzte.
Jedenfalls werde der NIPT-Test für Triple-X nicht systematisch gemacht. Das sagt Gwendolin Manegold-Brauer, Leitende Ärztin an der Abteilung gynäkologische Sonographie und Pränataldiagnostik der Frauenklinik am Universitätsspital Basel.

Medizinisch ist der Test nicht empfohlen

Die Schwangeren würden aber darauf aufmerksam gemacht, dass bei einem NIPT-Test auf Trisomie 13, 18 und 21 auch eine Analyse auf ein allfälliges Dreifachvorkommen des X- oder Y-Chromosoms möglich sei. Die Krankenkasse übernimmt dafür keine Kosten, und es gibt laut Manegold-Brauer keine medizinische Empfehlung diese Analyse durchzuführen.
Die Ärztin findet einen solchen Test auch nicht sinnvoll: «Gerade weil die Ausprägung häufig mild ist und durch die Analyse ethische Dilemmata entstehen.» Es gibt keine Zahlen dazu, wie häufig Schweizer Ärzte trotzdem auf Triple-X testen.

Eine von 1000 Frauen hat drei X-Chromosomen

Das Triple-X-Syndrom – auch als Trisomie X oder Super-Female-Syndrome bekannt – bedeutet, dass bei einer Frau das X-Chromosom drei- statt zweifach vorkommt.
Eines von 800 bis 1000 Mädchen hat das Syndrom. Oft wird es aber gar nicht diagnostiziert, weil zwei Drittel der Mädchen völlig normal entwickelt sind. Das heisst: Es gibt viele Frauen, die drei X-Chromosomen haben, ohne es zu wissen.
Studien haben gezeigt, dass Frauen mit Triple-X-Syndrom eher gross sind. Einige produzieren zu wenig Hormone in ihren Eierstöcken und sind deshalb nur eingeschränkt fruchtbar. Einige haben mit der Entwicklung der Sprache und der Feinmotorik etwas mehr Mühe als Gleichaltrige.
Zudem sind Mädchen mit Triple-X häufiger ängstlich und haben weniger Selbstvertrauen. Auch sind sie anfälliger für Probleme im Sozial- und Beziehungsverhalten. In seltenen Fällen kann es zu einer Psychose kommen.
Das Triple-X-Syndrom wird nicht vererbt. Betroffene Frauen haben also kein erhöhtes Risiko, eine erhöhte Anzahl von Chromosomen an ihre Nachkommen weiterzugeben.
Artikel teilen

Loading

Comment

2 x pro Woche
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Mehr zum Thema

image

Das Ende des Numerus Clausus ist beschlossen

Trotz Widerstand von Bundesrat Guy Parmelin setzt das Parlament auf eine Alternative zum NC für angehende Schweizer Ärzte.

image

VSÄG: Schlagabtausch zwischen abgewählter Präsidentin und Kantonsarzt

Monique Lehky Hagen wurde als Präsidentin der Walliser Ärztegesellschaft abgewählt - und warf dem Kantonsarzt Eric Masserey Manipulation vor. Dieser kontert.

image

Spital Emmental: Neues Führungsteam für das chirurgische Departement

Ab Januar 2025 wird Matthias Schneider Chefarzt der Chirurgie, André Gehrz sein Stellvertreter in Burgdorf. Stephan Vorburger wechselt intern.

image

Allcare: Hausarztkette in Zürich ist konkurs

Ärztemangel, galoppierende Lohnforderungen, fehlendes Commitment: dies die Erklärungen für die Notlage.

image

Hohe Auszeichnung für Insel-Kinderarzt

Philipp Latzin wurde mit der Goldmedaille der «European Respiratory Society mid-career in paediatrics» für seine Lungenforschung ausgezeichnet.

image

Uri und Obwalden suchen einen neuen Kantonsarzt

Jürg Bollhalder tritt per Juni 2025 zurück.

Vom gleichen Autor

image

SVAR: Neu kann der Rettungsdienst innert zwei Minuten ausrücken

Vom neuen Standort in Hundwil ist das Appenzeller Rettungsteam fünf Prozent schneller vor Ort als früher von Herisau.

image

Kantonsspital Glarus ermuntert Patienten zu 900 Schritten

Von der Physiotherapie «verschrieben»: In Glarus sollen Patienten mindestens 500 Meter pro Tag zurücklegen.

image

Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.