Kinder- und jugendpsychiatrische Behandlungen erfolgen zu 95 Prozent ambulant durch Kinder- und Jugendpsychiater oder spezialisierte Psychologen. Der Vorteil einer ambulanten Behandlung ist, dass sie ohne Veränderung des täglichen Lebens erfolgt und dass man erkennen kann, ob sie in der Realität wirksam ist. Die Termine der Patienten und Eltern finden in der Regel alle 14 Tage statt; die Hauptarbeit liegt bei Patienten und der Familie mit einem Coaching durch die Therapeutin oder den Therapeuten.
Jörg Leeners ist Chefarzt und Bereichsleiter Kinder- und Jugendpsychiatrie bei der Integrierten Psychiatrie Uri, Schwyz und Zug TriasPlus.
Jan-Christoph Schaefer ist Chefarzt des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes der Spitäler Schaffhausen.
In Fällen von schwerer Depression oder Suizidalität ist die Gefährdung der Patienten so gross, dass eine 24-Stunden-Überwachung angezeigt ist und deshalb eine stationäre Intervention notwendig ist. Hier erfolgt eine intensive multimodale Therapie. Die Patienten befinden sich mit anderen Jugendlichen auf einer Station und es entstehen positive Peer-to-Peer-Effekte. Die Patienten können erleben, dass sie nicht allein sind mit den Problemen.
Dies ist intensiver als eine ambulante Behandlung, allerdings in einem künstlichen Raum: der Klinik, die nicht die Realität vollständig abbilden kann. Der Weg von der Klinik zurück in das «normale Leben» kann schwierig sein.
Dazwischen gibt es die Möglichkeit der tagesklinischen Behandlung. Sie kann der stationären Therapie vor- und nachgeschaltet sein, erfolgt aber zumeist eigenständig. Hier kommen die Patienten morgens zur Tagesklinik, sind dort mit anderen Patienten zusammen, besuchen die Schule; es erfolgen Einzel- und Gruppentherapien sowie eine intensive Elternarbeit. Am späten Nachmittag geht es wieder nach Hause in die Familie.
«Die tagesklinische Behandlung ist eine sehr effektive Therapieform in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.»
Die Dauer beträgt in der Regel etwa vier Monate und das Ziel ist die Wiedereingliederung in das normale familiäre Leben und in die vorbestehende Beschulungsform, meist der Regelschule. Durch das zeitgleiche und abgestimmte Zusammenwirken der verschiedenen Berufsgruppen – etwa Pflege, Sozialpädagogen, Lehrer, Heilpädagogen, Ärzten, Psychologen –, sowie die intensive Zusammenarbeit mit der Familie ist die tagesklinische Behandlung eine sehr effektive Therapieform in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Bedarf wächst
Zur Zeit ist die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgungssituation in der Schweiz schwierig. Da es lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz gibt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine psychische Krise zuspitzt. Somit wächst auch der Bedarf an Plätzen in den kinder- und jugendpsychiatrischen Tageskliniken.
Die ambulante Therapie wird bei den Ärzten über den Tarmed-Tarif und bei den Psychologen über den Tarif des Anordnungsmodells finanziert. Die stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Therapie wird von der Krankenversicherung und vom jeweiligen Kanton bezahlt.
In der Regel wurden die Tageskliniken bisher mit einer Tagespauschale vergütet. Das bedeutet, dass die durchschnittlich entstehenden Kosten in der Tagesklinik pro Tag berechnet und vergütet werden; so ist es auch bei stationären Aufenthalten.
«Die Krankenversicherer kündigen zunehmend die Verträge mit den Tagespauschalen. Wesentliche Leistungen werden damit nicht mehr übernommen.»
Der Aufbau einer Tagesklinik für Kinder und Jugendliche war und ist seit fünfzig Jahren in der Schweiz immer schwierig, im Grunde seit der ersten kinder- und Jugendpsychiatrischen Tagesklinik der Schweiz 1975 in Zürich durch den Pionier Heinz Stefan Herzka. Die Finanzierung erfolgte aus unterschiedlichen Quellen. Zum einen zahlte die Krankenversicherung, zum anderen kam die Gesundheitsdirektion für einen Teil der Therapiekosten auf. Da eine Tagesklinik im Kinderbereich eine Beschulung beinhalten muss, wird der schulische Teil meist über die Bildungsdirektion des Kantons finanziert.
Da vor allem kleinere Kinder den Weg zur Tagesklinik nicht allein absolvieren können und nicht jeden Tag von den Eltern gebracht werden können, muss der Transport von zuhause zur Tagesklinik sowie der abendliche Rücktransport organisiert und finanziert werden.
Diese komplexe Finanzierungssituation wird in den Kantonen unterschiedlich gehandhabt. Dies machte den Neuaufbau einer Tagesklinik für Kinder und Jugendliche immer schon zu einem sehr herausfordernden Unterfangen. Die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und im Kern auch die Wirtschaftlichkeit von Tageskliniken stehen dabei ausser Frage.
Neue Finanzierung seit Januar 2024
Die Tageskliniken werden neu dem ambulanten Bereich zugeschrieben. Dies lässt in der Folge lediglich die Abrechnung der erbrachten Leistungen für ärztliches Personal über den Tarmed-Tarif und für das psychologische Personal nach dem Anordnungsmodell-Tarif zu. Ob und wie die wesentlichen Leistungen von Pflege und Sozialpädagogen bezahlt werden, ist unklar.
Der Tarif des Anordnungsmodells ist so konzipiert, dass fast nur Leistungen bezahlt werden, die direkt am Patienten erfolgen. So werden Einzeltherapie und Familientherapie mit den Patienten normal abgerechnet. Stark limitiert sind aber wesentliche Elemente einer Tagesklinik für Kinder- und Jugendlichen – zum Beispiel Gespräche ohne Patienten nur mit den Eltern, Abstimmungen mit der KESB oder der Austausch zwischen den Lehrern und den Therapeuten. Für diese essenziellen Gespräche stehen gesamthaft in einem Vierteljahr nur 180 Minuten zur Verfügung.
«Die Rufe der Politik nach ‚ambulant vor stationär‘ werden mit dieser Finanzierung ad absurdum geführt.»
Die kinder- und jugendpsychiatrischen Tageskliniken in der Schweiz stehen wegen dieser Veränderung vor einer grossen finanziellen Krise. Die Krankenversicherer kündigen zunehmend die Verträge mit den vorbestehenden Tagespauschalen. Wesentliche Leistungen werden damit nicht mehr übernommen – womit droht vielen Tagekliniken das wirtschaftliche Aus.
Die finanzielle Lage der meisten Trägerorganisationen der kantonalen Psychiatrien und Kinder- und Jugendpsychiatrien ist bereits jetzt sehr angespannt. Ein Angebot, welches deutliche Verluste einbringt, kann dann trotz klarer Evidenz längerfristig nicht aufrechterhalten werden.
Folgende Lösungen wären möglich:
- Die Finanzierung erfolgt monistisch über den jeweiligen Kanton. Es würde damit eine Verschiebung der Finanzierung von den Versicherern zum Kanton erfolgen.
- Die Entscheidung, dass das die Finanzierung der Tageskliniken über ambulante Tarife erfolgt, wird für die Psychiatrie zurückgenommen.
- Der Tarif des Anordungsmodells wird – analog zum Tarmed – mit anderen angemessenen Limiten für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen angepasst.
Die Finanzierung der Tageskliniken als ambulante Leistung geschieht in einer Zeit grosser psychischer Belastung von Kindern und Jugendlichen. Die Rufe der Politik nach «ambulant vor stationär» werden mit dieser Finanzierung ad absurdum geführt, da sie die intermediären psychiatrischen Angebote nicht ausreichend finanziert – speziell für Kinder und Jugendliche.
Der Tarif des Anordnungsmodell für Psychologen war ein Schritt in die richtige Richtung. Leider wurde dieser Tarif, wie früher auch der Tarmed-Tarif, für Erwachsene entwickelt. Die altersentsprechenden Bedürfnisse von Minderjährigen wurden nicht berücksichtigt. Der Tarmed-Tarif wurde später für Kinder und Jugendliche modifiziert.
Es ist dringend zu empfehlen, dass zukünftige Änderungen der Finanzierung im Schweizer Gesundheitssystem hinsichtlich deren Auswirkungen für die Kinder und Jugendmedizin und die Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgängig mit Experten der jeweiligen Fachgebiete diskutiert werden.