Wer nach den Ursachen des Klimawandels sucht, denkt zuerst einmal an Schwerindustrie, Kohlekraftwerke, Airports oder Autoschlangen. Doch an Spitäler und Pflegeheime? Das weniger.
Ein Forscherteam unter Leitung des Genfer Infektiologen Antoine Flahault setzt jetzt aber einen neuen Akzent: Das Schweizer Gesundheitswesen emittiert über eine Tonne CO2 pro Kopf der Bevölkerung – so lautet einer der Befunde, den sie nun veröffentlicht haben. Und weiter: 6,7 Prozent der Schweizer Treibhausgas-Emissionen entfallen auf den Gesundheitsbereich.
Dies wiederum bedeutet, dass die Schweiz das «drittschmutzigste» Gesundheitswesen der Welt hat – nach den USA und Australien.
Im Grunde ist es zwar eine recht banale Einsicht: Denn darin spiegelt sich primär, dass das Schweizer Gesundheitswesen sehr ausgebaut ist – räumlich und logistisch, beim Einsatz von Technologie, von Energie oder von Medikamenten. Und fairerweise müsste man auch anfügen, dass das Gesundheitswesen fast 9 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht (was den beklagten CO2-Anteil von 6,7 Prozent wieder in ein Verhältnis rückt).
Rauchende Spitäler
Dennoch: Eine neuere Studie zeigt auch, dass die Klima-Effizienz des Schweizer Gesundheitswesens nicht gerade top ist. Nimmt man die Qualität einerseits und den Energie-Fussabdruck andererseits, so schneiden andere Länder besser ab, insbesondere Schweden.
Antoine Flahault, Bruno Mermillod, Raphaël Tornare et al. erforschten ihr Thema mit Daten zum Kanton Genf. Dabei massen sie, welche Leistungserbringer welchen Anteil am CO2-Ausstoss des kantonalen Gesundheitswesens haben – und fragten, wie sich dieser Fussabdruck verkleinern liesse.
Als schwerwiegendster Brocken erwiesen sich dabei die Spitäler: 48 Prozent des CO2-Ausstosses im Genfer Gesundheitssystem entfallen auf sie. Pflegeheime (20 Prozent), Praxen (18 Prozent), Labors (7 Prozent) und Apotheken (4 Prozent) steuern deutlich weniger Klimagase bei.
Insgesamt zeigte diese Studie, dass Genf noch Nachholbedarf hat. Verglichen mit Frankreich (wo vor gut einem Jahr eine ähnlich gelagerte Messung durchgeführt worden war) fiel der der Pro-Kopf-Energiebedarf des Genfer Gesundheitssektors dreimal höher aus. Ähnliches zeigt ein Vergleich mit Grossbritannien.
Kurz: Die Schweizer Gesundheits-Akteure dürften sich vielleicht ein bisschen mehr Klima- und CO2-Bewusstsein leisten; dies eine These, welche die neue Studie in den Raum stellt.
Patienten statt Planeten
«Wir sind uns nicht immer im Klaren, dass der Gesundheitssektor, wenn er ein Land wäre, bei den Emissionen auf Rang fünf wäre», sagte
Antoine Flahault in einem Gespräch mit «Le Temps»: «Den Ärzten und Angestellten im Gesundheitswesen geht es in erster Linie um die Betreuung der Patienten – und nicht so sehr des Planeten. Sie rechtfertigen ihre Praktiken mit dem Streben nach grösstmöglicher Sicherheit für die Patienten, was verständlich ist.»
Doch dies fördere zum Beispiel die Verwendung von Einweg-Medizinprodukten, die neben Treibhausgasemissionen auch viel Abfall und Plastikverschmutzung verursachen.
Der Genfer Professor nennt zudem die (vielleicht vielfach etwas lockere) Verschreibung von Medikamenten als Beispiel, wie im Gesundheitsbereich massenhaft überproduziert und überkonsumiert wird.