Die Schüchtermann Klinik in Niedersachsen ist eines der grossen Herzzentren in Deutschland. Rund 8'000 stationären Patienten werden jährlich dort behandelt. Derzeit läuft dort ein neuer Schichten-Test: In einer Station kann das Pflegepersonal wählen, ob es 12-Stunden-Tage leisten will – und dafür mehr Freitage bekommt. Oder aber jemand bleibt beim bekannten 3-Schichten-Modell. Wobei es auch die Möglichkeit gibt, zwischen den beiden Modellen zu pendeln.
Konkret lautet die Formel: zwei 12-Stunden-Schichten führen zu einem zusätzlichen freien Tag. Laut einem Bericht des Senders NDR ergaben die Fragebogen-Umfragen bislang, dass das neue Angebot geschätzt wird. Fast alle Pflegenden empfanden die langen Schichten als stressfreier als die klassischen Dienste – zum Beispiel, weil sich viele Arbeiten freier einteilen lassen.
Gute Noten
Auslöser für den Test war das bekannte Problem der Fluktuation und der Absprünge. Als die Pflegenden in diesem Zusammenhang nach ihren Idealvorstellungen gefragt wurden, kam der Wunsch nach diesem Modell aufs Tapet.
Nun prüft die Klinikleitung, das System fix einzuführen. Wobei es dazu auch noch einige Bewilligungen braucht. Für das Pilotprojekt musste der Betriebsrat zustimmen – und das Gewerbeaufsichtsamt musste eine Ausnahmeregelung bewilligen.
Erstaunlich ist das Ergebnis, weil die 12-Stunden-Schichten in den Spitälern in den vergangenen Jahrzehnten eher zurückgedrängt wurden – aus arbeitsrechtlichen Gründen und weil die Betroffenen die langen Arbeitstage auch wenig schätzten.
Im Jahr 2015 erteilte eine grosse internationale Erhebung der 12-Stunden-Schicht zum Beispiel eher schlechte Noten. Befragt wurden damals Pflegefachleute in zwölf europäischen Staaten – darunter der Schweiz –, wobei in jedem Land die Angestellten von mindestens dreissig Spitälern befragt wurden. Am Ende flossen die Stimmen von über 31'000 Personen ein.
Die Pflegeprofis wurden befragt nach Schichtlängen und Überstunden, nach Zufriedenheit und nach Burnout-Indikatoren (mit den Masstäben des
Maslach Burnout Inventory); aber auch nach der Absicht, die aktuelle Stelle innerhalb der nächsten zwölf Monate zu kündigen.
Schlecht waren die Ergebnisse eigentlich nicht. Denn zum einen zeigte sich doch eine erhebliche Zufriedenheit mit dem Job: Bloss etwas mehr als ein Viertel der Befragten äusserten sich «ein bisschen» oder «sehr unzufrieden» mit ihrer beruflichen Situation – was heisst, dass eine satte Mehrheit ihrer beruflichen Lage gute Noten gibt.
Insgesamt wendete sich jedoch das Bild zum Schlechteren, wenn die Befragten vor der Befragung in Schichten von 12 Stunden und mehr gearbeitet hatten. Hier zeigten sich 40 Prozent unzufrieden – und auch bei anderen Punkten waren die Werte düsterer:
- Die Quote jener, die demnächst kündigen wollten, war um 31 Prozent höher als bei ihren Kolleginnen und Kollegen, die im 3-Schichten-System arbeiteten.
- 10 Prozent zeigten in allen drei Burnout-Dimensionen an (emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung, Leistungsfähigkeit); und ein Viertel bei mindestens einem Punkt.
«Wir fanden heraus», so denn ein Fazit der Autoren, «dass Schichten von 12 oder mehr Stunden einhergehen mit mehr Burnout-Berichten, höherer Unzufriedenheit im Job, weniger Zufriedenheit mit der Arbeitszeit-Planung und einer stärkeren Kündigungsabsichten.»
NDR-Beitrag über das Pilotprojekt an der Schüchtermann-Klinik: