Thierry Carrel darf auf seine Zahlen stolz sein – trotz «altmodischer» Herzchirurgie

Kardiologen des Berner Inselspitals warfen dem Herzchirurgen veraltete Methoden vor. Nun erzielte aber Carrel und sein Team sehr gute Zahlen.

, 30. Juli 2024 um 04:06
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Der Freiburger Herzchirurg Thierry Carrel operierte von 2020 bis 2022 im USZ an der Seite von Chefarzt Paul Vogt. | zvg
In der Causa Paul Vogt gegen Francesco Maisano gibt es einen lachenden Dritten: Thierry Carrel. Wobei das Adjektiv «lachen» nicht wörtlich zu nehmen ist – angesichts der vielen Komplikationen und Sterbefälle, die es in der Herzchirurgie am Zürcher Unispital (USZ) in der Ära Maisano gab.
Rückblende: Am 19. November 2020 ging Medinside der Frage nach, warum genau der berühmte Herzchirurg Thierry Carrel das Inselspital verlässt, dessen Klinik für Herz- und Gefässchirurgie er über zwanzig Jahre leitete.

Veraltete Herzchirurgie

Einer der Gründe lag darin, dass er mit der Reorganisation des Herzzentrums nicht einverstanden war. Carrel hätte neu einem Kardiologen rapportieren müssen. Ausgerechnet einem Kardiologen, der ihm vorwarf, eine veraltete Herzchirurgie zu betreiben. Die katheterbasierte oder endovaskuläre Chirurgie habe Carrel überhaupt nicht gepusht. 
«Carrel und seine Kollegen von der Kardiologie waren alles andere als grün», schrieb Medinside vor knapp vier Jahren. Der Herzchirurg wollte sich damals zum Artikel nicht äussern.

Vogts Stellverterter

Danach war der Freiburger zwei Jahre lang, von 2020 bis 2022, stellvertretender Klinikdirektor am USZ. Er wurde von Paul Vogt geholt, dem Nachfolger von Francesco Maisano, in dessen Amtsdauer im USZ offensichtlich einiges schief gelaufen war.
Zwei Jahre nach dem Abgang beim Inselspital nahm Carrel hier auf Medinside Stellung zu den genannten Vorwürfen: «Von veralteten Methoden kann keine Rede sein», sagte er.
Die aktuelle Herzchirurgie befasse sich zunehmend mit den komplexesten Herzerkrankungen: Transplantationen, Kunstherzen, Aortenrisse, angeborene Herzfehler bei Kindern und Erwachsenen. Für viele dieser Eingriffe gebe es heute noch keine katheter-basierten Behandlungen.
«Im Übrigen haben wir in Bern sehr viel zur Entwicklung von minimal-invasiven Herz-Lungenmaschinen und dem Schutz des Herzmuskels mit Mikro-Kardioplegie beigetragen».

Eine Schwäche für Maisano

Nun muss man wissen: Jene Kardiologen am Inselspital, die dem erprobten Chefarzt veraltete Methoden nachsagten, waren eng mit Francesco Maisano verbandelt. Sie standen dem in Zürich wirkenden Italiener näher als ihrem eigenen Herzchirurgen.
Stephan Windecker ist der Chefkardiologe am Inselspital. Er hat zusammen mit Maisano wiederholt Studien veröffentlicht. Noch im Dezember 2023, als die Vorwürfe gegen Maisano schon längst publik waren, trat Windecker mit ihm an einer internationalen Tagung auf – am Cardiology Update London 2023.

«Zürich steht schlecht da»

Und nun das: «Im Vergleich mit Bern steht Zürich schlecht da», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» am 11. Juli 2024. Sie stützt sich auf Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Der Vergleich bezieht sich auf die Jahre 2016 bis 2020, in denen Francesco Maisano am USZ die Leitung innehatte. 
«Die Berner lagen in der gleichen Zeitspanne bei fast allen Eingriffen unter der erwarteten Mortalitätsrate, zum Teil deutlich. Nach einer Bypassoperation starben in Bern 0,5 Prozent der Patienten, weniger als halb so viel, wie auf Grund des Risikoprofil zu erwarten gewesen war, und fünfmal weniger als am Zürcher Unispital», so die NZZ. Dabei deutet nichts darauf hin, dass die in Zürich getätigten Eingriffe komplexer waren als jene in Bern.

Ein Desaster

Es war Paul Vogt, der bei einer Gerichtsverhandlung die Lage in der Zürcher Herzchirurgie als «Desaster» bezeichnete, so dass das USZ eine Task Force einsetzte, die die Todesfälle in der Herzchirurgie von 2016 bis 2020 untersuchen soll.
Paul Vogt als Nachfolger von Maisano gelang es, zwischen 2020 bis 2022 die Mortalitätsraten rasch zu senken. Das ist nicht sein alleiniges Verdienst. An seiner Seite wirkte eben sein Stellvertreter Thierry Carrel, der angeblich «altmodische» Methoden anwendet.
Ob nun Carrel darob eine Genugtuung verspürt? «Eine Genugtuung verspüre ich, dass wir im Inselspital sehr gute Arbeit geleistet haben, wie die Zahlen belegen», sagt er auf Anfrage. Zu Maisano und den Berner Kardiologen will er sich nicht weiter äussern.
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