Informiert die Sendung «Puls» des Schweizer Fernsehens wirklich faktengetreu über die Krankheitsprävention?
Die Sendung beurteilte einfache Tests wie das Messen von Blutdruck, Blutzucker und Blutfettwerten sowie aufwändigere Tests wie Grüner Star, Dickdarmkrebs.
Besonders viel Sendezeit widmete «Puls» der Brust- und Prostatakrebs-Vorsorge. Sie wurden als umstritten angekündigt.
Mangelnde Ausgewogenheit
Im aktuellen VEMSInsights kritisiert der Verein die mangelnde Ausgewogenheit der Information. Er habe der Ombudsstelle «einige grobe Verletzungen journalistischer Sorgfaltspflicht» gemeldet.
Die
Ombudsstelle konnte indes keinen Verstoss gegen das Sachgerechtigkeitsgebot gemäss Radio- und Fernsehgesetz feststellen, worauf nun der VEMS bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) Beschwerde einreichte.
Laut «Puls» schätzt man, dass mit der Mammographie von 1000 Frauen ein bis vier Todesfälle verhindert werden können.
In seiner Beschwerde an die UBI schreibt Michel Romanens: «Die oft zitierte Zahl von 1 geretteten Leben pro 1000 gescreenten Frauen unterschätzt die tatsächliche Wirksamkeit des Screenings je nach Altersgruppe erheblich.» Hätte «Puls» selber recherchiert, wäre sofort sichtbar geworden, dass die vermiedenen Todesfälle durch Brustkrebs bei Frauen mit 2 bis 8 deutlich höher ist.
Corinne Chmiel ist Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin. Sie ist im wissenschaftlichen Komitee von EviPrev, dem Programm für evidenzbasierte Prävention in der medizinischen Grundversorgung. Zudem ist sie verantwortlich für die stark auf Evidenz basierenden Leitlinien des
Ärztenetzwerks Medix.
Umstittene Mammographie
Im Fernsehbeitrag bestätigt sie, dass sich Frauen nicht bewusst seien, dass die Mammographie umstritten sei. «Der Aufwand ist relativ gross, um wirklich ein Leben zu retten», sagt sie. Andererseits gebe es viele falsche Befunde. Das führe zu Folgeuntersuchungen, Eingriffen, zum Teil würden Frauen einen Teil der Brust entfernt oder gar die ganze. Am Schluss stelle sich heraus, dass es gar kein Krebs war.
Und in der Sendung heisst es: «Wenn 1000 Frauen zehn Jahre regelmässig zum Mammographiescreening gehen, erhalten bis zu 100 gesunde Frauen einen falschen Alarm.»
Noch einschneidender: «Fünf Frauen werden unnötig behandelt mit einer Nachbestrahlung, Brustoperation oder Chemotherapie. «Bei der Mammographie ist nicht eindeutig, ob der Nutzen die Nachteile überwiegt.»
Der Fall Peter Gøtsche
Laut Michel Romanens stammen die publizierten Zahlen vom Harding Zentrum für Risikokompetenz. Sie sind für die Schweiz nicht validiert. Der Autor Peter Gøtsche, welcher die Zahlen berechnet hat, wurde zwischenzeitlich von
Cochrane ausgeschlossen, weil er die Organisation in Verruf brachte. «Darüber muss SRF Puls berichten, wenn sie seine Zahlen verwendet», schreibt er der Ombudsstelle.
Auch sei bei der Berechnung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses des Mammographie-Scans getrickst worden, um eine kosteneffektive Diagnostik als ineffektiv erscheinen zu lassen.
Prävention Nummer eins
Der gröbste Mangel der Sendung liegt laut Michel Romanens darin, dass eine umfassende Information zwar versprochen wird, die Prävention der Todesursache Nummer eins aber in gerade mal 40 Sekunden abgehandelt wird: Herzinfarkt und Hirnschlag.
Und schliesslich schreibt der VEMS: «Wenn dann in derselben Sendung bezüglich Prävention von Prostatakrebs argumentiert wird, der betreffende Patient wäre wohl vor Ausbruch des Krebses sowieso an einem Hirnschlag verstorben, dann hat das etwas nachgerade Zynisches.»
Die Fernsehkritik des VEMS
- Die oft zitierte Zahl von 1 geretteten Leben pro 1000 gescreenten Frauen unterschätzt die tatsächliche Wirksamkeit des Screenings je nach Altersgruppe erheblich.
- Durch die Reduzierung der Beobachtungsdauer von 20 auf 11 Jahre werden die Präventionseffekte künstlich verringert.
- Es wird oft nicht erwähnt, dass von 3 Millionen gescreenten Frauen 2,25 Millionen einen korrekt negativen Befund erhalten und somit beruhigt werden können.
- Die erheblichen sozialen Kosten von Brustkrebstodesfällen werden in der Diskussion oft außer Acht gelassen. In der Schweiz betragen sie zwischen 16,8 und 33,6 Milliarden Franken.
- Nach Abzug der Screening-Kosten ergibt sich ein gesellschaftlicher Nutzen von 12,0 bis 28,8 Milliarden Franken in zehn Jahren. In der öffentlichen Debatte bleibt das oft unerwähnt.
- Medienberichte wie die SRF Puls-Sendung fokussieren oft auf potenzielle Risiken und Ängste, ohne die positiven Aspekte des Screenings angemessen zu würdigen.
- Fokus auf falsch positiven statt auf richtig negativen Befunden führt zu Angst vor dem Mammographie-Screening.
- Viele Quellen, auf die sich Kritiker berufen, sind veraltet oder wurden inzwischen widerlegt. Die Literaturangaben, welche zur Begründung einer angeblich mangelnden Effektivität des Mammographie-Screenings zitiert werden, widersprechen diesen Behauptungen. Hier steht ein Betrugsverdacht im Raum.
- Die absolute Risikoreduktion wird in einigen Fällen falsch dargestellt. Neuere Studien zeigen eine höhere Effektivität des Screenings als behauptet.
- SRF Puls vertraut den Fachkreisen, welche die Wirkung des Mammographie-Screenings fälschlich tief behaupten, indem sie einseitig die Literatur wiedergeben und veraltete Daten und Empfehlungen kommunizieren.
- SRF Puls hätte selber Recherchen durchführen müssen, um nicht durch einseitige Informationen öffentlich wirksame Desinformation zu betreiben. Der Beitrag zeugt von einer handwerklich geringen Qualität.