Der Konflikt schwelt seit Jahren: Der Verein Ethik und Medizin hegt ernsthafte Zweifel an den Datenerhebungen von Santésuisse, an den WZW-Verfahren und an der offiziösen Rolle, welche der private Verband bei der Kontrolle der Ärzte und der Durchsetzung der Vergleichsmassstäbe spielt.
Das angespannte Verhältnis verschärfte sich im Frühjahr wegen eines Falles, wo eine Zürcher Gynäkologin vor das Schiedsgericht sollte: Sie rief den VEMS zu Hilfe – und
dieser rechnete vor, dass in die Santésuisse-Vergleichsgruppen-Analyse arg sonderliche Ausreisserpraxen berücksichtigte. Dabei stellte VEMS-Präsident Michel Romanens, der Oltner Kardiologe, gleich die Frage in den Raum, ob dies missbräuchlich und Absicht sei. Das Verfahren gegen die Gynäkologin wurde sistiert
(siehe auch hier).Nun begleitet der VEMS einen anderen Arzt. Laut Romanens bietet der Mann eine schwierig einzuschätzende Kombination von Innerer Medizin, Rheumatologie und psychosozialer Betreuung. Ins Visier der Kontrolleure kam er offenbar auch, weil er die Kosten mehrerer Jahre gemeinsam abgerechnet hat. Damit erreichte er im entsprechenden Jahr 2014 verdächtig hohe Zahlen, kurz: Er wurde statistisch auffällig. Santésuisse fordert nun die Rückzahlung von 40'000 Franken.
«Wir zeigen die Tricks auf...»
Das Verfahren soll nun am 29. September vor der Paritätischen Vertrauenskommission verhandelt werden, doch der VEMS hat beschlossen, die Differenzen schon im Vorfeld auszutragen, und zwar sehr öffentlich: Seit Anfang letzter Woche hat er
eine Website und einen Blog aufgeschaltet, wo unter anderem der fortlaufende Mailverkehr mit Santésuisse zu diesem Fall veröffentlicht wird.
Weshalb? Es gehe um Transparenz, so Michel Romanens. «Anhand der Muster, die sich im Verhalten von Santésuisse dabei zeigen, können andere Ärztinnen und Ärzte erkennen, wie Santésuisse arbeitet», heisst es in der Einleitung zur Website: «Wir zeigen die Tricks auf, die dabei zur Anwendung kommen, und informieren über die rechtlichen Grundlagen, wie Sie sich dagegen wehren können.» Es sei also quasi eine Art Service für die Ärzteschaft.
«…muss das Verfahren gegen Dr. X eingestellt werden»
Der akute Streit dreht sich dabei darum, dass Santésuisse die Vergleichsgruppen im Fall des inkriminierten Arztes nicht vorlegen will: Man werde dies erst in der Verhandlung vom 29. September tun. Derweil legt die VEMS-Seite eine Stellungnahme St. Galler Gesundheitsrechtlers Ueli Kieser vor, laut dem dieses Vorgehen geltendem Recht widerspreche: «Sollten die Daten nicht fristgerecht eintreffen, muss das Verfahren gegen Dr. X eingestellt werden», schreibt Kieser.
Auf der neuen Website zeigt sich: Gekämpft wird mit harten Bandagen, wo die eine Seite der anderen empfiehlt, wieder mal den Knigge zu lesen – und die andere dem Gegenüber eine grosse Aggressivität vorwirft und fragt: «Haben die mit den Wirtschaftlichkeitsverfahren betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Santésuisse erfolgsabhängige Lohnanteile?»
(Antwort von Santésuisse: Nein. «Die Mitarbeitenden von santésuisse erhalten keine Erfolgsbeteiligung für ihre Aufgaben», teilt Verbandssprecher Christophe Kaempf auf Anfrage mit)
Santésuisse: Keine Stellungnahme zum laufenden Verfahren
Das Problem an der Site zum Streit ist natürlich, dass die Darstellung etwas einseitig wird – ist doch Santésuisse auf der Position, dass man sich zu einem laufenden Verfahren wie diesem nicht äussern kann.
Aber greifbar wird in diesem Fall doch auch, dass die heutige Methode der Ermittlung von unseriösen Ärzten durch ein statistisches «Physician Profiling» enorm angreifbar ist. Das sehen mittlerweile die meisten Parteien so: Immerhin arbeiten die FMH und die Krankenversicherer derzeit gemeinsam an einer Erneuerung der Methoden zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Ärzte mit eigener Praxis.
- Nachtrag 27. September 2016: Die PVK-Verhandlung, angesetzt auf 29. September, wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.