Im Schaufenster stehen vor allem unwirksame Medikamente

Bieler Ärzte schlagen eine neue Etikette für rezeptfreie Arzneimittel vor. Sie soll zeigen, wie verlässlich die Wirksamkeit nachgewiesen worden ist.

, 18. Oktober 2023 um 12:15
letzte Aktualisierung: 4. April 2025 um 07:55
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Auch wetterabhängig: Schaufenster einer Apotheke  |  Bild: zvg.
Fast 60 Prozent aller Medikamente, die in den Schaufenstern von Apotheken in der Schweiz ausgestellt sind, haben keine medizinisch erwiesene Wirksamkeit. Zu diesem Schluss gelangt eine Untersuchung eines Teams von Ärztinnen und Ärzten des Spitalzentrum Biel.
Mit Schaufensterfotos von 68 zufällig ausgewählten Apotheken in der Schweiz und mit einer Analyse der medizinischen Literatur haben Ärztinnen und Ärzte der Medizinischen Klinik des Spitalzentrums Biel nachgewiesen, dass nur 418 von den insgesamt 970 überprüften Arzneimitteln erwiesenermassen wirksam sind – also etwa 43 Prozent.
Für die anderen 556 Medikamente sei «die Datenlage zu dünn, um verlässliche Aussagen über deren Wirksamkeit machen zu können.»
Die Ärztinnen und Ärzte bemerkten auch saisonalen Veränderungen im Arzneimittelangebot in den Schaufenstern. Im Frühling standen deutlich mehr Arzneimittel mit erwiesener Wirksamkeit in den Schaufenstern. «Das ist vor allem auf die Medikamente gegen Heuschnupfen zurückzuführen», sagt Daniel Genné, Chefarzt der Medizinischen Klinik. «Viele hochwirksame Antihistaminika sind rezeptfrei erhältlich und dürfen deshalb beworben werden.»

Deutschweizer Sonderweg

Einen besonders tiefen Anteil von wirksamen Arzneimitteln boten die Deutschschweizer Apotheken im Winter an: Von 66 Arzneimitteln in den Auslagen, waren gerade einmal 11 erwiesenermassen wirksam. Anders in der Romandie und im Tessin: Dort hatte jedes zweite Medikament im Schaufenster der Wintersaison eine erwiesene Wirksamkeit. Genné hat eine Vermutung, was der Grund dafür ist: In der Deutschschweiz gibt es mehr Befürworter von Alternativmedizin.
Das Team möchte mit dieser Untersuchung nicht die Arbeit der Apotheker schlechtreden. Die Autoren räumen ein, dass die Auswahl fürs Schaufenster limitiert ist. Antibiotika und andere rezeptpflichtige Arzneimittel dürfen nicht beworben werden.
Ausserdem gibt es in den Schaufenstern auch oft kosmetische Produkte, Gesundheitsinformationen und Impf-Empfehlungen. «Das sind sehr wertvolle Beiträge an die medizinische Grundversorgung», gibt sich Genné versöhnlich.

Ein Label für die Verlässlichkeit

Trotzdem stört ihn der Befund. Patienten seien sich oft nicht bewusst, dass rezeptfreie Arzneimittel mit anderen Medikamenten wechselwirken können. Trotzdem würden die Apotheken so viele Medikamente ohne erwiesene Wirksamkeit ausstellen und damit auch indirekt der Öffentlichkeit empfehlen.
Sein Vorschlag: Ein Aufdruck, der Medikamente nach ihrer Wirksamkeit einstuft. Damit könnte wie bei der Energieetikette farblich abgestuft gezeigt werden, wie verlässlich die medizinische Evidenz für den Wirkstoff ist, der im Arzneimittel enthalten ist.
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