«Facebook versus The BMJ: when fact checking goes wrong»: Unter diesem Titel wendet sich Europas führende Medizin-Publikation gegen Facebook. Und zwar protestiert sie nun schon zum zweiten Mal.
Die
Editors schildern dabei den Fall
eines Artikels, den das «British Medical Journal» im November veröffentlicht hatte. Thema: Qualitätsmängel beim Phase-III-Test für den Covid-19-Impfstoff von Pfizer.
Wer diesen BMJ-Beitrag auf seiner Facebook-Seite empfahl, riskierte eine Verwarnung von «Fact-Checkern» des Konzerns: Sie bemängelten beispielsweise einen «missing context» oder «partly false information» des Artikels und versahen den Link mit Warnhinweisen.
«Missing Context»
Einem Zahnarzt wurde von den anonymen Facebook-Aufsehern sogar empfohlen, den BMJ-Link ganz zu löschen; sonst könnten seine eigenen Beiträge auf der Plattform künftig schlechter sichtbar gemacht werden.
Weitere Leser meldeten dem Journal diverse andere Veto-Meldungen von Facebook.
Was ist da los? Anfragen bei der zuständigen Auftragsfirma ergaben, dass Facebook dem BMJ zwar keinen Fehler nachweisen konnte; trotzdem unterstellte man «flaws», Mängel – wobei sich die «Factchecker» unter anderem auf Angaben der Pressestelle von Pfizer abstützten.
Zugleich ahnten sie offenbar nicht, mit wem sie es zu tun hatten: An einer Stelle bezeichneten sie das BMJ als «news blog». Dass sie kurzerhand einem der fünf führenden Medizin-Journals der Welt fachliche Fehler vorwarfen, war den Kontrolleuren entgangen.
Harvard? Who cares…
Der Fall führt zu einem Problem, das in der Covid-Berichterstattung notorisch geworden ist: Einerseits werden Facebook, Twitter oder Youtube von Tausenden genutzt, um gegen die Covid-Impfungen und -Massnahmen zu protestieren – auch mit Fehlinformationen. Andererseits fehlt den Plattformen die fachliche Kompetenz, hier Ordnung zu schaffen; sie folgen also primär der Linie von Regierungsstellen, behördennaher Wissenschaft und Unternehmen.
Mit der Folge, dass selbst seriöse Stimmen abgewürgt werden, wenn sie davon abweichen.
Unlängst sperrte Facebook
einen Post der Acura-Kliniken in Deutschland zur Frage der Spitalbelegung («In der Sache sind wir bei Corona bei einer Grippe angekommen»). Im Dezember
verbannte Linkedin vorübergehend Antoine Hubert: Der Chef der zweitgrössten Schweizer Privatspitalgruppe hatte sich wohl etwas zu deutlich gegen Maskentragen und Impfen
à gogo ausgesprochen. Im März stoppte Twitter einen Post des Epidemiologen Martin Kulldorff: «Zu denken, dass jeder geimpft sein muss, ist wissenschaftlich genauso fehlerhaft wie zu denken, dass niemand es muss», so der Text des Harvard-Professors. «Covid-Impfstoffe sind wichtig für Ältere und Risikopersonen sowie für deren Betreuer. Genesene benötigen sie nicht. Kinder ebensowenig.»
Ein Gipfel wurde erreicht, als Cochrane – also das grosse Analyse-Netzwerk für evidenzbasierte Medizin – im Oktober von Instagram zurückgestuft wurde: Beiträge der Cochrane-Site wurden mit dem Hinweis versehen, dass diese Organisation die «False Content»-Richtlinien der Facebook-Tochter verletzt habe.
Das BMJ wandte sich jetzt an diverse Institutionen wie den Facebook-Mutterkonzern Meta oder das International Fact-Checking Network in Florida – mit der Idee, dass die Standards solcher Kontrollen selber überprüft werden müssten. Dies, nachdem die Chefredaktion zuvor schon einen offenen Brief an Mark Zuckerberg veröffentlicht hatte.
«…es sollte jeden beunruhigen»
«Statt die beträchtlichen Gewinne von Meta teilweise dazu zu nutzen, die Exaktheit von medizinischen Informationen auf den sozialen Medien zu sichern, haben Sie die Verantwortung an Personen delegiert, die für so eine entscheidende Aufgabe offenbar nicht in der Lage sind», stand darin. «Faktenchecks sind seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil des guten Journalismus. Was in diesem Fall passiert ist, sollte jeden beunruhigen, der Quellen wie The BMJ schätzt und sich auf sie verlässt.»
Die Antworten waren so unbefriedigend, dass das Journal nun das Thema weiterverfolgt – affaire à suivre.
Im Hintergrund steht auch, dass das BMJ in der medizinischen Covid-Debatte tendenziell einen grösseren Raum lässt für Wissenschaftler, die nicht vollauf den gängigen Linien der Politik folgen. Vielsagend war denn auch der Auftritt von
Peter Doshi, einem der Senior Editors des BMJ sowie Professor für Pharmakologie an der University of Maryland: In einer Expertenanhörung des US-Senats vertrat er den politisch brisanten Standpunkt, dass die mRNA-Covid-Impfungen gar keine Impfungen sind.
Sie seien zweifellos sinnvoll, so Doshi, aber letztlich nur als Medikamente. Es seien «drugs», welche einen schweren Verlauf nach einer Sars-Cov2-Infektion verhindern können. Aber sie unterbinden weder Infektionen noch Übertragungen genügend, um nach der herkömmlichen Definition «Impfung» genannt zu werden.
Peter Doshis Auftritt lässt sich auf Youtube noch finden. Auch wenn man dafür etwas scrollen muss: