Die NZZ schrieb am 12. März 2018: «Spitalversicherung wird zum Auslaufmodell.» Schon am 25. Oktober 2016 schrieb die Berner Zeitung: «Den Spitalversicherungen sterben die Kunden aus».
Der flüchtige Beobachter wird aus solchen Meldungen schliessen, dass das vor allem ein Problem der Krankenkassen sei. Doch der Kenner der Materie weiss: Es ist vor allem auch ein Problem der Spitäler und der Ärzte.
Die Zweiklassenmedizin ist Tatsache
Es ist weitgehend bekannt, dass Spitäler und insbesondere die Belegärzte an Privat- und Halbprivatpatienten mehr verdienen als an Patienten, welche lediglich die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) versichert haben.
Sie müssten also alles Interesse daran haben, dass sich möglichst viele Schweizerinnen und Schweizer den Luxus leisten, neben der bereits erdrückenden Prämienlast für die Grundversicherung auch noch die Kosten für eine Spitalkostenzusatzversicherung zu stemmen.
Der Mehrwert hat abgenommen
Das wird aber nur der Fall sein, wenn auch das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Diesbezüglich hapert es. Der Mehrwert einer Spitalkostenzusatzversicherung halbprivat oder privat hat im Verlauf der letzten Jahre markant abgenommen.
Oder positiv formuliert: Der Wert einer Grundversicherung hat zugenommen. Das ist den Spitälern zu verdanken: Sie haben ihre Mehrbettzimmer zum Aussterben geweiht. Bei Neubauten gibt es nur noch Zweier- und Einerzimmer.
Im besten Fall haben Halbprivatpatienten eine bessere Aussicht und ein grösseres Zimmer sowie eine bessere Ausstattung im Bad und der Toilette.
Feie Arztwahl - damit hat es sich
Der Mehrwert für eine Zusatzversicherung reduziert sich somit auf die freie Arztwahl. Und wenn künftig mehr ambulant statt stationär operiert wird, so nimmt der Mehrwert einer Zusatzversicherung noch einmal ab.
Wenn der Mehrwert einer Zusatzversicherung sinkt, müssten logischerweise auch die Prämien sinken, damit das Preis-Leistungsverhältnis im Lot bleibt. Die Krankenkassen haben das Problem erkannt; Spitäler und vor allem die Ärzte eher nicht.
Tiefere Prämien
So setzen die Kassen alles daran, dass die Prämien für die Zusatzversicherungen nicht im gleichen Ausmass ansteigen wie jene für die OKP. Mehr noch: In vielen Fällen bleiben die Prämien über Jahre konstant. Und mit der Lancierung von flexiblen Modellen mit hohen Selbstbehalten ist es den Kassen zum Teil gelungen, zumindest optisch tiefere Prämien anzubieten.
Die Spitäler hingegen machen auf Vogelstrauss und stecken den Kopf in den Sand. Bei jeder Neuverhandlung der Verträge verlangen sie höhere Tarife. Dies sagen Vertreter von Krankenkassen – aber selbstverständlich nur hinter vorgehaltener Hand. Denn über Verhandlungen und Vertragsabschlüssen von Zusatzversicherungen spricht man nicht. Nicht untereinander und schon gar nicht mit Journalisten.
Keine Transparenz
Erschwert wird die Verhandlungstaktik der Versicherer durch den Umstand, dass bei den Zusatzversicherungen jede grössere Kasse für sich allein verhandelt. Ihnen ist es aus wettbewerbsrechtlichen Gründen untersagt, gemeinsam zu verhandeln.
Anders in der sozialen Grundversicherung: Hier verhandeln die Kassen gemeinsam: Auf der einen Seite die Santésuisse-Tochter Tarifsuisse mit 44 angeschlossenen Kassen und 60 Prozent Marktanteil. Auf der anderen Seite HSK mit vier angeschlossenen Kassen und 40 Prozent Marktanteil.
Helsana gegen Solothurn
Mitunter gelangt ein Tarifstreit bei den Zusatzversicherungen trotz Stillschweigeabkommen an die Öffentlichkeit. Dann etwa, wenn eine Patientin an die Medien gelangt, weil ihr die Krankenkasse die Kostengutsprache verweigert. So geschehen vor zweieinhalb Jahren. Helsana war nicht bereit, die 17-prozentige Tarifsteigerung der Solothurner Spitäler zu schlucken und stellte ihre Zusatzversicherte vor die Wahl:
- Der Versicherte weicht auf ein umliegendes Spital aus.
- Der Halbprivatversicherte lässt sich in der allgemeinen Abteilung behandeln und erhält von der Helsana eine pauschale Entschädigung von 1000 Franken; Privatversicherte von 1500 Franken.
- Der Versicherte zahlt die Differenz selber.
Der Böse in dieser Angelegenheit ist schnell ausgemacht: der Krankenversicherer. Dabei müsste die Öffentlichkeit den Versicherern dafür dankbar sein, dass sie sich für erschwingliche Prämien einsetzt. Die verzerrte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hängt auch damit zusammen, dass sich die Krankenversicherer und ihre Verbände kommunikativ nicht immer geschickt verhalten. Hinzu kommt, dass in der Not die Verbundenheit zum Arzt aus verständlichen Gründen grösser ist als zur Krankenkasse.
KPT gegen Genolier
Noch vorher machte die KPT eine ähnliche Erfahrung mit den Spitälern der Genolier-Gruppe, die sich inzwischen in Swiss Medical Network umfirmieren liess. Reto Egloff, der Geschäftsleitungsvorsitzende der KPT erklärte am 12. Dezember 2016 dem Bieler Tagblatt: «Es kann nicht sein, dass Versicherer für überhöhte Forderungen von Spitälern und Ärzten zulasten ihrer Versicherten finanziell geradestehen.» Die einzige Druckmöglichkeit, sich dagegen zu wehren, bestehe darin, die Versicherten in andere Spitäler zu lenken und damit die Spitäler einem Marktdruck auszusetzen.
Die Beispiele zeigen, dass die meisten Krankenkassen nicht mehr gewillt sind, für Zusatzversicherte Phantasiepreise zu bezahlen. «Heute wird härter verhandelt als früher», bestätigt ein Gewährsmann, der selber am Verhandlungstisch Platz nimmt. «Wenn das Spital 12 verlangte und die Kasse 8 zahlen wollte, so wurde für 12 unterschrieben oder ohne Vertrag 12 bezahlt», bringt er es auf den Punkt.
Was man nicht alles machte für einen warmen Teller
Eine andere mit der Sache vertraute Person sagt es so: «Früher hatten Kassenvertreter bei Spitälern vorgesprochen und für einen warmen Teller den Tarif unterschrieben, der vom Spital vorgegeben worden ist». Um zu ergänzen, dass auch heute noch gewisse Kassenvertreter nach diesem Schema verfahren.
Doch den Kassen wird es nicht einfach gemacht. Besonders renitent scheinen die Ärzte zu sein. «Sie verhalten sich so, als wäre das KVG nie eingeführt worden», sagt der CEO einer Krankenkasse. Mit der grössten Selbstverständlichkeit stellten sie Rechnung für ihre Leistung. Dabei werde die medizinische Leistung durch die Grundversicherung abgegolten. Ärzte sollten also zuhanden der Zusatzversicherung höchstens für ihre Mehrleistung Rechnung stellen können, soweit man diese überhaupt zu beziffern vermag. Dies geschehe aber nicht.
Die Romandie agiert nach alter Väter Sitte
Sicher ist, dass sich die ganze Tarifierung bei den Zusatzversicherungen im Umbruch befindet. Zudem gibt es Unterschiede von Kanton zu Kanton. «In der Romandie und zum Teil auch in Zürich ist es schwierig, die Ärzte einzubinden», sagt der Gewährsmann. Das heisst, dass die Krankenkassen für einen Zusatzversicherten zwei Rechnungen erhalten: eine vom Spital, eine andere vom Arzt. Angeblich war das auch ein Streitpunkt zwischen Genolier und der KPT. Bestätigen will man das jedoch nicht.
Bis vor einiger Zeit wurde die Vergütung mehrheitlich mit Gesamtpreisverträgen geregelt. Dazu ein Beispiel: Das Spital und der Versicherer einigen sich mit einer Gesamtpreis-DRG von 15'000 Franken für Halbprivat- und 20'000 Franken für Privatpatienten. Davon wird der OKP-Anteil von zum Beispiel 10'000 Franken in Abzug gebracht. Die Differenz, also 5000 Franken für Halbprivat- und 10'000 Franken für Privatpatienten gehen zu Lasten der Zusatzversicherung. Bei einer Veränderung der Basisrate in der OKP verändert sich dadurch automatisch auch der Anteil der Zusatzversicherung.
Die Finma will keine Vermischung
Die Finanzmarktaufsicht (Finma), welche das Geschäft mit den Zusatzversicherungen laut Versicherungsvertragsgesetz (VVG) beaufsichtigt, will das nicht mehr akzeptieren. Schliesslich ist es auch nicht rechtens. Es darf nur entschädigt werden, was nicht bereits mit der Grundversicherung abgedeckt wird. Eine Vermischung in der Tarifierung der Grund- und Zusatzversicherung darf es nicht mehr geben. Deshalb werden zunehmend Mehrpreisverträge abgeschlossen.
Das geht so: Die Mehrleistungen können mit DRG zum Beispiel mit einer Baserate von 4500 Franken für Halbprivat und 6500 Franken für Privat bei einem Kostengewicht von 1.00 in Rechnung gestellt werden. Diese Kosten gehen dann vollumfänglich zu Lasten der Zusatzversicherung nach VVG. Die OKP-Leistungen werden separat in Rechnung gestellt. Dadurch ist die Verrechnung der Mehrleistung nicht von der OKP abhängig.
Dieses Modell sollte nach Einschätzung des Gewährmanns zunehmend zum Standard werden. Bei öffentlichen Spitälern wird meistens nach diesem Schema verfahren. Schwieriger ist es mit Privatspitälern.
Bei Hirslanden sitzen auch Ärzte am Verhandlungstisch
Bei Hirslanden beispielsweise ist das Preisgefüge immer noch modular aufgebaut: Es gibt einen Preis für den Eintritt, einen Preis für den Operationssaal und teilweise auch Minutenpreise. Erschwert wird das Ganze, indem nicht nur die Spitalleitung, sondern auch Ärztevertreter am Verhandlungstisch sitzen.
Im Kanton Bern stützen sich die Vertragsparteien für die Arztleistungen in Privatspitälern auf das Tarifwerk BVVplus, ausgearbeitet von der Berner Belegärzte-Vereinigung. Es regelt die Verhältnisse der einzelnen Eingriffe und Leistungen untereinander. Der Taxpunktwert wird anschliessend mit den Ärztegruppen der einzelnen Spitäler vereinbart.