Jährlich erkranken in der Schweiz 31’375 Personen neu an Alzheimer oder einer anderen Demenz. Der Krankheitsprozess beginnt schleichend: Erste Anzeichen im Gehirn finden sich bis zu 20 Jahre vor den ersten Symptomen. Schleicht sich der Verdacht auf eine Alzheimer-Erkrankung ein, müssen sich die Betroffenen auf langwierige und aufwändige Prozeduren einstellen, bis der Fall klar ist.
Ein Team der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und des Kantonsspital St. Gallen (KSSG) ist nun dabei, einen Bluttest zu entwickeln, der die Diagnose von Alzheimer-Erkrankung mittels Rasterkraftmikroskopie (AFM) früh und vereinfacht ermöglichen soll.
Tiefe Blicke ins molekulare Universum
Die Forscher um Peter Nirmalraj von der Empa wollen Einblicke in das molekulare Krankheitsgeschehen von Alzheimer gewinnen. Dabei steht die Frage nach der genauen Rolle der Beta-Amyloid-Peptide und der Tau-Proteine im Zentrum, die im Zusammenhang mit der neurodegenerativen Krankheit stehen.
Dabei soll nicht nur die blosse Anwesenheit der verdächtigen Eiweisse registriert werden. Sondern auch die Bestimmung ihre veränderbare Gestalt und Form sowie ihre Anzahl. Zu diesem Zweck arbeitet Physiker Nirmalraj an Technologien, welche Beobachtungen im Nanometerbereich im Blut ermöglichen und dennoch die Struktur und Morphologie der Eiweisse nicht zerstören.
Pilotstudie abgeschlossen
Gemeinsam mit Ansgar Felbecker und Thomas Schneider von der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St.Gallen (KSSG) konnte nun
eine erfolgreiche Pilotstudie abgeschlossen werden. Für die Studie untersuchte Nirmalraj Blutproben von 50 Patientinnen und Patienten und 16 gesunden Versuchspersonen.
Mittels AFM-Technologie analysierte der Empa-Forscher hierzu die Oberfläche von rund 1 000 rote Blutkörperchen pro Person, ohne jedoch Informationen über deren Gesundheitszustand zu kennen. Der Empa-Forscher vermass Grösse, Struktur und Beschaffenheit von Protein-Ansammlungen, die sich auf den Blutkörperchen befanden.
Muster passt zum Krankheitsstadium
Nach Abgleich der Ergebnisse mit den klinischen Daten der St. Galler Neurologen konnte ein Muster erkennt werden, das zum Krankheitsstadium der Versuchspersonen passt: Menschen, die an Alzheimer erkrankt waren, wiesen grosse Mengen von Proteinfasern aus Beta-Amyloid-Peptiden und Tau-Proteinen auf.
Dabei konnten sich die Proteine zu Fasern von mehreren hundert Nanometern Länge zusammenfügen. Bei gesunden Personen oder jenen mit beginnenden Hirnleistungsstörungen zählte Peter Nirmalraj hingegen lediglich wenige Fasern. Die Studie haben die Forscher nun im Fachmagazin «Science Advances» publiziert.
Punktion des Rückenmarkkanals ersparen
Damit sei die Machbarkeit einer Blutanalyse mittels AFM-Technologie erwiesen, sagt Empa-Forscher Peter Nirmalraj: «Sollte sich mit dieser Methode ein zuverlässiger Bluttest entwickeln lassen, bliebe Menschen mit Verdacht auf Alzheimer die unangenehme Punktion des Rückenmarkkanals erspart, um die Krankheit eindeutig diagnostizieren zu können.»
Bis ein einfacher Bluttest im Spital zur Verfügung steht, ist es allerdings noch ein weiter Weg: Als nächstes möchte das Team nun die Daten durch die Untersuchung einer grösseren Zahl an Versuchspersonen in verschiedenen Krankheitsstadien mittels AFM und chemischen Analysen erhärten.