KI auf Abwegen: Wenn das Röntgenbild zeigt, ob jemand Bier trinkt

Künstliche Intelligenz birgt in der Medizin ein heikles Risiko: das «Shortcut Learning». Dabei liefern Algorithmen zwar völlig genaue, aber zugleich völlig unhaltbare Ergebnisse.

, 13. Dezember 2024 um 00:00
image
Symbolbild: Elevate on Unsplash
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen wird zunehmend selber zum Thema: Was kann die Künstliche Intelligenz leisten, was die Fachkräfte nicht können – und was nicht? Bekannt ist, dass KI Anomalien erkennt, die ein Mensch kaum durchschauen kann, und Muster erkennt, die für das blosse Auge unsichtbar sind.
Doch wie zuverlässig ist die KI? Dieser Frage ging nun ein Team des Dartmouth-Hitchcock Medical Center in den USA nach. In Zentrum ihrer Studie geriet dabei ein heikles Phänomen: «shortcut learning». Das heisst: AI-Systeme können genaue Ergebnisse liefern – die aber potenziell überflüssig oder sogar falsche sind.
  • Hill, B.G., Koback, F.L. & Schilling, P.L. «The risk of shortcutting in deep learning algorithms for medical imaging research», in: «Scientific Reports» 14, 29224. November 2024.
  • doi.org/10.1038/s41598-024-79838-6
Auf der Grundlage einer Analyse von über 25'000 Röntgenaufnahmen des Knies stellten die Forscher fest, dass die KI Feinheiten und Störfaktoren aufnahm – und daraus Merkmale ohne medizinischen Bezug «vorherzusagen». Das System ging also so ins Detail, dass es sich am Ende Korrelationen zusammenbastelte.
So meinte die KI beispielsweise genau erkennen zu können, ob ein Knie-Patient gebratene Bohnen isst oder Bier trinkt – oder nicht. Solche Vorhersagen haben keine klinische Grundlage. Aber in ihrer Detailgenauigkeit kombinierten die Algorithmen falsche Schlussfolgerungen.
«Das geht viel weiter als die Verzerrungen, die man wegen Details bei Herkunft oder Geschlecht macht», sagt Brandon Hill, ein Mitautor der Studie. Der Experte für Machine Learning fügt an: «Wir fanden heraus, dass der Algorithmus sogar dazu neigen kann, das Jahr behaupten, in dem eine Röntgenaufnahme gemacht wurde. Das ist bösartig: Wenn Sie ihn hindern, eines dieser Elemente zu lernen, lernt er einfach etwas anderes, was er vorher ignoriert hat. Das kann wirklich zu fragwürdigen Behauptungen führen, und man muss sich bewusst sein, wie leicht das bei dieser Technik geschieht.»
Nötig sind also strenge Bewertungsstandards – blindes Vertrauen in Algorithmen kann schwerwiegende Fehlinterpretationen nach sich ziehen. Die Forscher weisen darauf hin, dass KI nicht wie ein Mensch wahrnimmt oder konzeptualisiert. Es sei «fast wie bei einer ausserirdischen Intelligenz», erklärt Hill: Sie löst Aufgaben nach ihren eigenen, für Menschen oft undurchschaubaren Regeln – was einen kritischen Ansatz bei ihrem Einsatz in der Medizin unabdingbar macht.
  • künstliche intelligenz
  • forschung
Artikel teilen

Loading

Kommentar

Mehr zum Thema

image
Der KI-Ticker

Wo Künstliche Intelligenz das Gesundheitswesen verändert

Chatbox für Patientenfragen ++ Leitfaden: KI in Medizin und Pflege ++ Modell erahnt Parkinson-Risiko ++ KI in der Krebserkennung ++ KI kann aus Sprechweise Demenz ableiten ++

image

Studie: Tageszeit könnte Krebstherapie beeinflussen

Am frühen Morgen seien Krebsmedikamente besonders wirksam, am frühen Nachmittag weniger. Spitäler richten sich bislang nicht danach.

image

Bildanalyse kann Brustkrebs besser voraussagen

Schweizer Forscher schätzen mit Künstlicher Intelligenz das Stadium von Brustkrebs ein. Das könnte Ärzten helfen, die richtige Behandlung zu wählen.

image

Je weniger Pflege-Fachleute, desto längere Spitalaufenthalte

Mit Team-Nursing können Spitäler viel Geld sparen. Doch eine US-Studie zeigt, dass die Patienten unter diesem Modell leiden.

image

Kantonsspital Baden: KI überwacht den Husten

Ein neues Gerät soll helfen, anrollende Infektionswellen zu erkennen – um früher Massnahmen einzuleiten.

image

SAMW: Diese KSBL-Ärztin ist ein Vorbild

Magdalena Filipowicz Sinnreich gewinnt den diesjährigen Stern-Gattiker-Preis.

Vom gleichen Autor

image

Neues Kinderspital in Lausanne: Operationssaal nachts geschlossen

Das neue Waadtländer Kinderspital ist schon vor seiner Eröffnung umstritten: Der Betrieb kostet zu viel.

image

Psychische Gesundheit: Wallis setzt auf mobile Teams

Mobile «Interventionsteams im heimischen Milieu» ergänzen das Angebot an psychiatrischer Versorgung.

image

Waadt: Regionalspital setzt auf Alternativmedizin

Die Établissements hospitaliers du Nord vaudois eröffnen ein Zentrum für integrative Medizin – mit Angeboten wie Hypnose und Homöopathie.