Medikamentöse Behandlungen werden immer komplexer, die Anzahl eingenommener Medikamente nimmt stetig zu – und damit auch das Risiko von Medikationsfehlern. Nicht in jedem Fall spüren die Patienten etwas davon. Wenn sie es aber tun, ist in der Fachsprache von einem unerwünschten Arzneimittelereignis die Rede.
Um die Zahl dieser unerwünschten Arzneimittelereignisse zu reduzieren, hat ein interdisziplinäres Projektteam des Kantonsspitals Aarau um Claudia Zaugg, Leiterin Klinische Pharmazie, und Rico Fiumefreddo, Leitender Arzt Allgemeine Innere und Notfallmedizin, gemeinsam mit IT-Fachpersonen der Firma CISTEC AG ein neuartiges Analyseprogramm entwickelt, das Ärztinnen und Ärzten fortan dabei hilft, unerwünschte Arzneimittelereignisse markant zu reduzieren.
Letzte Woche wurde das neue System auch im Spital Zofingen und dem angegliederten Pflegezentrum in Betrieb genommen. So können nun alle Patienten der KSA-Gruppe davon profitieren.
Weniger und gezieltere Warnmeldungen
Das neue Analyseprogramm des Kantonsspitals Aarau bezieht bereits vorhandene Daten aus der elektronischen Patientenakte, wie zum Beispiel Laborwerte, Alter, Gewicht und Medikamente. Das innovative Multiagentensystem, das diese Daten mit den medizinischen Richtlinien und dem Fachwissen von klinischen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten sowie Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachdisziplinen kombiniert, löst dann eine Warnmeldung aus, wenn das System eine problematische Konstellation von Medikamenten oder eine fragwürdige Dosierung erkennt.
Das kann beispielsweise dann passieren, wenn eine Patientin, die Blutverdünner nimmt, plötzlich eine verschlechterte Nierenfunktion aufweist. «In einem solchen Fall würden wir die Dosierung des Blutverdünners kurzfristig reduzieren», erklärt Claudia Zaugg. Wenn sich die Nierenfunktion dann verbessert, ist es wichtig, dass auch die Dosierung des Blutverdünners wieder erhöht wird. Sonst droht eine Thrombose. Damit in solchen und zahlreichen anderen Situationen möglichst schnell reagiert werden kann, sollen nun Computerprogramme mithelfen, Medikationsfehler zu entdecken und schnell zu korrigieren, um so die Patientensicherheit zu steigern.
Hohe Investitionen in die Patientensicherheit
Warnsysteme im Zusammenhang mit Medikamentenverordnungen sind nichts Neues. «Aber während die meisten nur zwei isolierte Parameter gegenüberstellen und somit eine Flut an irrelevanten Warnmeldungen auslösen, berücksichtigt unser System deutlich mehr Elemente und kann so gezielter und auch mit höherer Treffsicherheit warnen», erklärt Claudia Zaugg weiter.
Wie gut das Multiagentensystem funktioniert, zeigen erste Erhebungen, zum Beispiel zur unerwünschten Kombination zweier Blutverdünner. Dieser Medikationsfehler konnte im ersten Jahr bereits um 43 Prozent reduziert werden. Doch selbst dann, wenn zahlreiche Parameter berücksichtigt werden, gibt es Faktoren, die das Multiagentensystem nicht auswerten kann. Darum wird die überwiegende Mehrheit der Meldungen zuerst von einem internen Team klinischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten geprüft und erst dann mit einer Empfehlung an die Ärztinnen und Ärzte weitergeleitet. Dank der stetigen Überprüfung der Medikation der Patienten durch das System ist Zaugg zuversichtlich, dass auch weitere Fehler künftig sehr schnell identifiziert und behoben werden.
Um die Patientensicherheit weiter zu steigern, hat das Kantonsspital Aarau über sechs Jahre in die Entwicklung dieses Systems investiert. Das Projekt wurde mit dem Forschungspreis des Schweizerischen Vereins der Amts- und Spitalapotheker 2020 ausgezeichnet.