Am Fall der sogenannten E-Zigaretten zeigt sich wunderbar, wie kulturelle Muster in die Medizin hineinspielen – beziehungsweise in die medizinische Interpretation eines Phänomens. Während in Deutschland die Mediziner skeptisch sind und auf die Giftstoffe verweisen, die in den Dampfern weiter schmoren; und während die Regierung in Berlin dafür ähnliche Werbe-Bremsen will wie bei der herkömmlichen Papierzigarette, sprach sich in Grossbritannien das Royal College of Physicians für eine
Empfehlung der E-Zigarette aus: Denn die sei die beste Hoffnung, Tabaksüchtige am Ende zum Aufhören zu bewegen.
Frischen und vielleicht entscheidenden Wind in die Debatte bringen Daten, die das «British Medical Journal» heute veröffentlicht. «Diese Studie basiert auf dem bislang grössten repräsentativen Sample von E-Zigaretten-Konsumenten. Sie bietet einen strong case, dass die E-Zigarette in einer breiten Bevölkerung geholfen hat, das Rauchen zu reduzieren», teilt das BMJ mit.
Die Kernfrage lautet also: Dient die E-Zigarette als erster Schritt weg vom Tabak? Oder bewirkt sie das Gegenteil – sie nimmt den Druck und die Motivation, aufzuhören?
Ein Team um den Public-Health-Professor Shu-Hong Zhu von der University of California in San Diego nahm an US-Bevölkerungserhebungen der Jahre 2014 und 2015 teil und baute einige Zusatzfragen zum Tabakkonsum ein. 161’054 Menschen wurden erfasst; 22’500 dieser Personen waren Raucher; 2’100 gaben an, in den vergangenen 12 Monaten damit aufgehört zu haben. 38 Prozent der aktiven Raucher und 49 Prozent der Ex-Raucher hatten bereits E-Zigaretten probiert.
Hochgerechnet: 350'000 Raucher weniger in 2 Jahren
Die Befragung zeigte dann, dass E-Zigarettenraucher mit einer signifikant grösseren Wahrscheinlichkeit einen Versuch starteten, mit dem Tabak Schluss zu machen: Das Verhältnis lag bei 65 zu 40 Prozent. Und bei denen, die es versuchten, war die Erfolgsquote grösser: 8,2 Prozent der E-Zigarettenraucher schafften es, in den drei Monaten vor der Befragung vom Tabak wegzukommen. Bei den Papierzigaretten-Raucher war die Quote mit 4,8 Prozent gut halb so hoch.
Wie die Forscher aus Kalifornien berechneten, würde dieser Unterschied bei erfolgreichen Ausstiegen bedeuten, dass in den erfassten Jahren 2014 und 2015 rund 350'000 Menschen in Amerika zusätzlich dem Tabakqualm abgeschwört haben.
Wie auch immer man es hochrechnet: Die neue Gross-Studie untergräbt die These, dass die E-Raucher eher vom totalen Ausstieg abgehalten werden. Und es scheint tatsächlich so zu sein, dass die die Elektroraucher es leichter hatten, am Ende einen vollständigen Schlussstrich zu ziehen.
«Diese Ergebnisse sollten mit Bedacht in die Regulierung und in die Planung der Tabakkontrolle einbezogen warden», argumentieren die Forscher in der Conclusion.
Dieser Meinung schliesst sich auch das
Editorial des «British Medical Journal» an: Christopher Bullen, Professor für
Public Health in Auckland, fordert darin eine Denkpause: «Im Licht dieser Beweise sollten die Politiker in jenen Ländern, welche eine restriktiveren Umgang mit der Regulierung von E-Zigaretten planen, eine Pause einlegen. Damit sie prüfen können, ob solche Aktionen wirklich das Richtige für die öffentliche Gesundheit darstellen.»