«Die Aargauer Bevölkerung hat ab Anfang 2021 die Möglichkeit, ein eigenes EPD zu eröffnen.» Das schrieb das «Grenchner Tagblatt» am 30. Dezember 2020. Mittlerweile ist März – und doch ist man im Aargau noch nicht bereit.
Nicolai Lütschg, Geschäftsführer der Stammgemeinschaft eHealth Aargau, gibt zu, nach der erfolgten Zertifizierung durch KPMG etwas zu optimistisch gewesen zu sein. Nun sagt er: «Bald werden wir bereit sein». Was er unter «bald» genau versteht, lässt er offen. Er will nicht nochmals falsche Hoffnungen wecken.
Derzeit geht es im Aargau vor allem darum, die Eröffnungsstellen auf ihre Aufgabe vorzubereiten. In einem ersten Schritt sind das die Poststellen in Aarau und Baden. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung wird es also nicht möglich sein, das EPD online zu eröffnen. Ausgerüstet mit einer unterschriebenen Einwilligungserklärung und einem persönlichen Ausweis muss also das EPD vor Ort eröffnet werden.
In Graubünden wird es Herbst
Neben eHealth-Aargau hat auch die Stammgemeinschaft Südost die Zertifizierung durch die KPMG hinter sich. Und wie die Aargauer waren auch die Bündner zu optimistisch, was den Startschuss zur Eröffnung der EPD betrifft.
Noch immer steht auf der Website von eSanita, wie der Verein heisst, dass «voraussichtlich» ab dem zweiten Quartal 2021 die Bevölkerung ein freiwilliges persönliches EPD eröffnen könne. Gemäss «Bündner Tagblatt» soll es nun Herbst werden, was Richard Patt, der Geschäftsführer von eSanita, gegenüber Medinside bestätigt.
Doch im Unterschied zu anderen Stammgemeinschaften soll das EPD im Kanton Graubünden nicht nur auf Poststellen, sondern auch in all ihren 25 Spitälern und Kliniken eröffnet werden können. Sollte also eine Person zum Beispiel nach einem Skiunfall in den Bündner Bergen ins Spital eingeliefert werden, könnte sie dort gleich ihr persönliches EPD eröffnen.
Noch haben Spitäler andere Prioritäten
Jetzt müssen aber in den Spitälern und Kliniken vorerst die Prozesse eingeübt werden, um dann auch eine reibungslose Dossiereröffnung gewährleisten zu können. Wobei natürlich, wie Richard Patt einräumt, die Spitäler derzeit aus bekannten Gründen auch noch andere Prioritäten haben.
Am 19. Februar 2020 schrieb E-Health-Suisse in einer Medienmitteilung, der Programmausschuss von Bund und Kantonen zum EPD habe zur Kenntnis genommen, «dass es in diesem komplexen Projekt mit seiner dezentralen Struktur zu Verzögerungen kommt». Er anerkenne, dass der Umfang des Zertifizierungsverfahrens zum Zeitpunkt der Gesetzgebung nicht genau abgeschätzt werden konnte. Er erwarte aber, «dass alle Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz bis im Herbst 2020 ein EPD eröffnen können».
SQS zertifiziert, ist aber noch nicht akkreditiert
Zwei Gesellschaften sind mit Zertifizierungen beschäftigt: KPMG und SQS, wobei die Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Managementsysteme (SQS) noch gar nicht akkreditiert ist.
Denn um Stammgemeinschaften zertifizieren zu können, muss die Zertifizierungsstelle von der Schweizerischen Akkreditierungsstelle SAS akkreditiert sein – einer Bundesbehörde, die beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) angesiedelt ist.
Interpellation Rösti
«Von Seiten der Stammgemeinschaften wird berichtet, dass die Zertifizierungsverfahren auch heute noch schleppend und kompliziert verlaufen». Das schreibt Gesundheitspolitiker und SVP-Nationalrat Albert Rösti am 3. Dezember 2020 in einer Interpellation.
«Trifft es zu», so Albert Rösti, Vizepräsident der Gesundheitskommission, «dass die Akkreditierungsverfahren von einer einzigen Person bei der Schweizerischen Akkreditierungsstelle SAS abhängen, bei deren Ausfall sich mangels Stellvertreter die Verfahren bis hin zur Einführung des EPD verzögern?»
In seiner Stellungnahme vom 24. Februar 2021 schreibt der Bundesrat: «Es trifft zu, dass ein unfallbedingter Ausfall des zuständigen Fachexperten der SAS zu einer geringen Verzögerung von vier Wochen betreffend eine Zertifizierungsstelle beigetragen hat».
Xsana wartet aufs Okay aus Bern
Opfer dieses Malaise ist unter anderem die Stammgemeinschaft Xsana, bei der 14 Kantone angeschlossen sind, darunter Zürich und Bern. Die Zertifizierungsstelle SQS hat ihre Arbeit abgeschlossen und wartet nun auf die Akkreditierung.
Zuerst hiess es, die Akkreditierung erfolge im November, dann sprach man vom Januar und nun soll es Ende März werden. Axsana-Geschäftsführer Samuel Eglin sagt auf Anfrage: «Das Zertifikat ist gedruckt, befindet sich aber in der Schublade der SQS. Ich habe keine Ahnung, wann wir loslegen können».
Zuerst Early Mover, dann Apotheken
Im Unterschied zu anderen Stammgemeinschaften sollen im Einzugsgebiet der Xsana vor allem in Apotheken das Dossier eröffnet und die eID registriert werden können. Das wird aber dauern. Vorerst will Xsana in jeder Region mit einem «Early Mover» präsent sein: In Zürich, Biel, Solothurn und Liestal. Danach wird in jedem der vierzehn Kantone des Xsana-Einzugsgebiets die EPD-Eröffnung ermöglicht und das Netz schrittweise verdichtet.
Gemäss der Website von E-Health-Suisse sollte die Zertifizierung bei drei weiteren Stammgemeinschaften im Frühjahr 2021 abgeschlossen sein: Das gilt für die beiden Stammgemeinschaften der Westschweizer Kantone sowie für die Gemeinschaft ADSwiss der Ärztinnen und Ärzte.
Gemeinschaft oder Stammgemeinschaft?
Zur Erinnerung: Patientinnen und Patienten können ein EPD nur in einer Stammgemeinschaft eröffnen. Eine Gemeinschaft wie ADSwiss muss hingegen keine Vorkehrungen treffen, die für die Eröffnung eines Patientendossiers nötig sind.
Doch die Beispiele von Aargau und Südost zeigen, dass es mit der Zertifizierung der Stammgemeinschaft nicht getan ist. Es vergeht auch nach der Zertifizierung nochmals ein halbes Jahr, ehe die Eröffnungsstellen bereit sind, die elektronischen Dossiers von Patientinnen und Patienten zu eröffnen und die entsprechende eID zu registrieren – wenn überhaupt.