Sieht so die Arztpraxis der Zukunft aus?

Kaffee, Bücher, Veranstaltungen und eine Arztkonsultation: So soll eine neue Praxis in Bern die Beziehung zwischen Ärzten und Patienten revolutionieren.

, 5. Januar 2022 um 14:16
image
  • praxis
  • ärzte
  • kanton bern
«Bei uns finden Sie Sprechstunde, Kaffee, Bibliothek und Kultur an einem Ort». Mit diesem unüblichen Mix wirbt die neue Arztpraxis Sprechzimmer Plus in Bern-Liebefeld um Patienten. Das Ziel der Initianten: Die Praxis soll die Beziehung zwischen Ärzten und Patient revolutionieren und sie «aus dem Korsett des Gesundheitssystems» befreien.

Mehr Zeit für Gespräche

Auf diese Idee kamen die Initianten aufgrund von Gesprächen mit Hausärzten und Patienten und aus eigenen Erfahrungen im Gesundheitswesen. Cornelius Warncke ist Mitgründer von Sprechzimmer Plus. Der Allgemein- und Intensivmediziner findet, dass Patientenbetreuung zu oft nach wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet sei.
Gegenüber Medinside sagt er: «Die Zeit, die sich ein Hausarzt oder eine Hausärztin für eine Konsultation nehmen kann, ist durch Tarife begrenzt. Oft kann nur ein akutes Problem angesprochen werden. Aber für weitere wichtige Punkte bleibt keine Zeit. Diese Zeit wollen wir unseren Patienten geben.»

Vermietungen decken Finanzlücke

Im Sprechzimmer Plus sollen der Mensch und sein Anliegen die Konsultationsdauer bestimmen und nicht die Tarifuhr. Dieses Versprechen tönt gut, doch wer finanziert die längere Konsultationsdauer?
Die finanzielle Lücke will Warncke mit der Vermietung von Sitzungszimmern, Praxisräumen und des Barbereichs decken. Ärztinnen und Ärzte können einen Praxisraum inklusive der notwendigen Infrastruktur, Patientenadministrations-Programm, Agendaführung und Betreuung durch eine Medizinische Praxisassistentin mieten.

Für Junge, Pensionierte oder Teilzeiter

«Dieses Angebot richtet sich beispielsweise an junge Kollegen, die erste Erfahrungen im Bereich der Hausarztmedizin sammeln wollen, an pensionierte Hausärztinnen, die noch gelegentlich Patienten betreuen wollen, oder auch an operativ tätige Kolleginnen, die eine Praxisinfrastruktur nur punktuell benötigen», erklärt Warncke.
Einnahmen verspricht sich Cornelius Warncke nicht nur von den Vermietungen, sondern auch von Beratungen und Kursangeboten. Er sagt: «Uns ist wichtig, dass wir durch unsere individuelle, tarifunabhängige Patientenbetreuung keine zusätzlichen Kosten für die Allgemeinheit generieren. Mit unserem privatwirtschaftlichen Angebot können wir unabhängig bleiben und unsere Ideen verwirklichen.»

Gründer der Temporärarzt-Firma Medseek

Das Sprechzimmer Plus ist für weitere Anbieter aus dem Gesundheitswesen offen. «Manche Besucher des Sprechzimmers brauchen nicht nur ärztliche Betreuung, sondern weitere Beratung zu Themen, die sich in einer Konsultation ergeben», ist Warncke überzeugt.
Cornelius Warncke selber ist im Sprechzimmer Plus nicht als Arzt tätig, sondern als Unternehmer beteiligt. Er hat 2014 die Solothurner Firma Medseek gegründet. Das Unternehmen ist auf die Vermittlung von Ärzten für Spitäler spezialisiert. Warncke arbeitet via diese Vermittlungsfirma als Intensivmediziner.

Medseek auch im Sprechzimmer eingemietet

Medseek ist Mieter bei Sprechzimmer Plus und nutzt dort Räume für ärztliche Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen durchzuführen. Die Firma hat derzeit 25 Fach- und 5 Assistenzärzte als Temporärzte im Einsatz.
image
Die Artzpraxis ist auch ein Komferenzzimmer und ein Ausbildungsort. | PD
image
Die Bar ist tagsüber für Besucher offen. Abends oder am Wochenende ist sie für geschäftliche oder private Anlässe mietbar. | PD
image
Hier gehts zu den Praxisräumen, die sich mieten lassen. | PD
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Und noch ein Notfall steht auf der Kippe

Im Hausarzt-Notfall Seeland haben über ein Viertel der Ärzte gekündigt – «aus Frustration».

image

Notfallpauschalen: Politiker machen Druck auf Versicherer

Im Ständerat fordert eine erste Motion höhere Tarife für Notfalleinsätze und Permanencen.

image

Zürich: Teil-Einigung im Tarifstreit, Taxpunktwert steigt um 2 Rappen

Die Ärztegesellschaft des Kantons Zürich einigte sich mit HSK und CSS auf einen Wert für die ambulant tätigen Mediziner.

image

Notfallpauschalen: Bundesrat kann nichts tun

Die Landesregierung sieht keine Möglichkeit, dass Bern kurzfristig eingreift. Allerdings wird sie im Tardoc-Verfahren speziell auf die Dringlichkeits-Entschädigungen achten.

image

Cyberattacke auf Praxisgruppe Vidymed

Die Waadtländer Gruppe kämpft mit den Folgen eines Cyberangriffs, der ihre IT-Systeme lahmlegte. Ein Krisenstab sucht allfällige Datenlecks.

image

Krise bei Permanencen und Praxen: Wird der Bundesrat aktiv?

Was bewirkt der Bundesgerichts-Eingriff bei den Notfall-Entschädigungen? Was kann die Politik tun? Dazu muss die Landesregierung am Montag Stellung nehmen.

Vom gleichen Autor

image

«Hausarzt ist kein Beruf, den man subventionieren muss»

Ein Arzt macht vor, wie eine Berggemeinde zu medizinischer Versorgung kommt. Und er kritisiert Kollegen, die einfach ihre Praxis schliessen.

image

Pflegefachleute verschreiben so sachkundig wie Ärzte

Das dürfte das Pflegepersonal freuen: Es stellt laut einer US-Studie genauso kompetent Arzneimittel-Rezepte aus wie Ärzte.

image

Temporär-Arbeit in der Pflege: Ein Angebot mit Haken

Es gibt gute Gründe für Pflegefachleute, sich nur noch temporär anstellen zu lassen. Aber es gibt auch ein paar gute Argumente dagegen.