Auf den ersten Blick war es ja ein Flop: Gestern berief der Pflegefachleute-Verband
SBK die Medien ein, um eine Volksinitiative anzukündigen oder zumindest anzudrohen. Doch die Sache wurde nur wenig beachtet. «Tages-Anzeiger» und «Blick»
(Print) fanden das Anliegen keine Zeile wert, «Tagesschau» und «10 vor 10» verzichteten, die Regionalzeitungen von
AZ bis
BZ beliessen es mit einer trockenen SDA-Meldung, und in der Romandie blieb das Anliegen des Pflegepersonals auch ein Randthema.
Doch für die Missachtung gibt es eine Erklärung: Der Stoff ist ziemlich sperrig und komplex. Und gerade hier liegt die grosse Chance.
Vertragsfreiheit durch die Hintertür
Konkret geht es ja den Pflegefachleuten darum, dass ihre Arbeit unabhängiger und selbstständiger gestaltet wird, indem sie gewisse Leistungen direkt mit der Grundversicherung abrechnen können – und dass nicht mehr jeder Handgriff letztlich «auf Anordnung des Arztes» erfolgen muss.
Die Idee: Pflege soll kein «Hilfsberuf» mehr sein – ein wichtiger Aspekt, um auch den zunehmend virulenten Personalmangel zu bekämpfen.
Doch inzwischen hat der Wind im Bundeshaus gedreht: Die zuständige
Nationalratskommission führte einen Passus ein, wonach die Pflegefachpersonen und –Institutionen nur dann direkt mit den Krankenkassen abrechnen könnten, wenn diese mit ihnen einen Zulassungsvertrag abgeschlossen haben; die Idee der Vertragsfreiheit käme hier also durch eine Hintertür ins Gesundheitswesen (wie auch die
NZZ interpretiert). Und der
Bundesrat lehnte Joders Initiative inzwischen sogar kategorisch ab.
Wenn da jeder käme…
Für diese Skepsis gibt es durchaus Gründe. Das BAG unter Bundesrat Berset wie auch Santésuisse fürchten, dass die «Anordnungs-Freiheit» auch eine Mengenausweitung nach sich ziehen würde – also schon wieder höhere Gesundheitskosten. Obendrein wäre damit zu rechnen, dass nach den Pflegefachleuten auch andere medizinische Berufe eine ebenso selbstständige Abrechnung fordern, etwa Ergotherapeuten oder Physiotherapeuten.
Kommt hinzu, dass das Hauptargument hinter der Initiative zweifelhaft ist. Gewiss, «die Wichtigkeit der Pflege wird in Zukunft weiter markant zunehmen», wie Rudolf Joder gestern an der SBK-Medienkonferenz sagte. Doch hängt der Mangel beziehungsweise die Rekrutierung qualifizierten Nachwuchses wirklich an der formalen Frage von Abrechnung und Anordnung? Solange Fachhochschulen für den Pflege-Abschluss auf Tertiärstufe sogar Interessenten abweisen müssen, scheint dies zumindest nicht der drängendste Punkt zu sein
(siehe auch hier). Die Verlagerung zu den Physician's Assistants
Auf der anderen Seite sprechen wichtige Tendenzen im Gesundheitsbetrieb für die angestrebte Verlagerung – und genau darum geht es ja letztlich: Um eine Verlagerung der Kompetenz von den Ärzten hin zu diversen anderen Arten von Physician’s Assistants. Dass eine diplomierte Pflegefachperson für Verbandswechsel eine ärztliche Anordnung braucht, erscheint im Jahr 2016 eher als alter Zopf aus der Epoche der weissen Halbgötter.
In diesem Hin und Her stellt der SBK durch seine Initiativ-Drohung nun eine neue Frage in den politischen Raum. Sie lautet: Was hat Chancen vor dem Volk? Welche Deutung setzt sich durch?
Die Glaubwürdigkeit der Menschen in Weiss
Und da es sich, wie gesagt, um ein sperriges Thema handelt, wird die Glaubwürdigkeit der Exponenten eine grosse, vielleicht entscheidende Rolle spielen. Die Chance ist erheblich, dass der SBK mit seinen 25'000 Mitgliedern (und vielen zugewandten Orten unter den 500'000 Beschäftigten im Gesundheitswesen) die Initiative zustandebringen würde.
Und dass dann, vor dem Volk, die Credibility des Pflegeprofis so solide ist, dass grosse Teile der Bevölkerung bei solch einer komplexen Frage mal grundsätzlich dem Personal in Weiss folgen – ähnlich der Ärzteschaft, die ihre Referendumsmacht ja schon in anderen Fragen bewiesen hat.
Oder anders:
«Komplementärmedizin, Hausärzte & nun Pflegefachleute: Das Volk wird Ja sagen & steigende KK-Prämien beklagen». So spitz fasste Comparis-Experte
Felix Schneuwly die Sache in einem Tweet zusammen.
Angesichts solcher Aussichten wird man sich daran erinnern, dass der Entscheid für die Vertragsfreiheit in der zuständigen Nationalratskommission sehr knapp war. Und damit wird ein Detail der gestrigen SBK-Ankündigung wohl besonders wichtig: Man versuche jetzt als erstes, die Politiker zu überzeugen, «die flankierenden Massnahmen wieder rückgängig zu machen und zum Ursprungstext der Subkommission zurückzukehren» – und die Initiative Joder letztlich wie gehabt durchzuwinken.
Die Chancen sind beträchtlich, dass genau dies geschehen wird.