Der Tarifeingriff des Bundesrates macht Druck aufs Einkommen der Ärzte. Nun bauen die Mediziner offenbar eine neue Verteidigungslinie auf – einfach auf der nächstfolgenden Ebene, nämlich bei den kantonalen Taxpunktwerten. Dies geht aus zwei Schreiben der FMH hervor. «Tages-Anzeiger» sowie
«Bund» berichteten heute darüber – mit dem Titel: «Ärzte wollen Tarifkürzung mithilfe der Kantone abwenden».
Wie soll das gehen? Ganz einfach: Die Ärzteschaft stellt sich auf den Punkt, dass bald ein vertragsloser Zustand herrsche, weshalb die Tarife auf dieser Seite nun neu verhandelt werden müssen beziehungsweise können.
«…insbesondere der Taxpunktwert»
Ende Oktober fand eine Präsidentenkonferenz statt, an der die kantonalen und nationalen Ärztevertreter eine abgestimmte Zusammenarbeit beschlossen. In einem ersten Schritt solle jede kantonale Ärztegesellschaft ihre eigene Kantonsregierung kontaktieren und dabei die wichtigsten Themen der Tariffestsetzung und der damit verbundenen Probleme aufzeigen.
Die FMH hat nun ein Muster für solch einen Brief an die jeweiligen Kantonsregierungen vorgelegt. Darin vertreten die Ärzte – erstens – die Meinung, dass durch den bundesrätlichen Tarifeingriff der nationale Rahmenvertrag zwischen Ärzten und Versicherern per 1. Jauar 2018 beendet sei. Deshalb – zweitens – erlöschen auch die kantonalen Anschlussverträge automatisch. Denn diese setzen den Rahmenvertrag voraus. Und damit wiederum sind – drittens – auch die Anhänge dieser Subverträge ungültig, «insbesondere der Taxpunktwert».
Santésuisse: «Sturm im Wasserglas»
Als «Sturm im Wasserglas» erachtet man die Aktion bei Santésuisse: «Der Rahmenvertrag ist ein Administrativvertrag, der auch unabhängig von der Tarifstruktur weiterhin gültig ist», sagt Paul Rhyn, der Leiter des Ressorts Kommunikation. Ohnehin dürfte ein vertragsloser Zustand kaum im Interesse der Ärzte sein. «Der Rahmenvertrag regelt ja noch viele andere Punkte, die in ihrem Interesse sind.»
Tatsächlich stellt die FMH auch diese Punkte zur Debatte. In einem Beitrag in der
«Schweizerischen Ärztezeitung» schreibt das zuständige Vorstandsmitglied Urs Stoffel, dass diverse Einzelpunkte aus kantonalen Regelungen nun wackeln: «Was geschieht mit den im Rahmenvertrag festgehaltenen Kommissionen wie der Paritätischen Interpretationskommission (PIK), der Paritätischen Kommission Dignität (PaKoDig), der Paritätischen Vertrauenskommission (PVK) und dem Forum Datenaustausch?», fragt Stoffel zum Beispiel. Und er kommt zum Schluss: «Diese Fragen werden aktuell sehr kontrovers diskutiert und am Ende wohl von den Juristen und Gerichten geklärt werden müssen.»
Hier dürfte wohl das Muskelspiel am konkretesten werden: Der Verweis auf die «Juristen und Gerichte» stellt die ungemütliche Aussicht in den Raum, dass die Branche wieder in eine Phase jahrelanger Tarifunsicherheit und Rechtsstreitigkeiten geraten könnte – so dass der Bundesrats-Eingriff am Ende nicht etwa Klarheit und Ruhe geschafft hätte, sondern das Gegenteil.
«Willkommen im Chaos», lautet denn auch der Titel des ersten Briefs der FMH an die kantonalen Ärztegesellschaften.