Vor einem Jahr hat der Bundesrat entschieden, dass die Krankenversicherer die Finanzierung des Pflegematerials unabhängig davon übernehmen, ob die Anwendung durch eine Pflegefachperson erfolgt oder nicht. Per 1. Oktober 2022 fällt die aktuell geltende Übergangsregelung weg und Pflegematerial wird nur noch vergütet, wenn es auf der sogenannten Mittel- und Gegenständeliste (MiGel) aufgeführt ist.
Doch werden dann auch alle benötigten Materialen fristgerecht auf der Liste sein? Der Bundesrat meint Ja und publizierte am Dienstag die von den Akteuren sehnlichst erwartete Liste mit rund 35 Pflegematerialgruppen.
Verbände schlugen Alarm
Im Vorfeld hatten Verbände und Bundesparlamentarierinnen ihre Bedenken geäussert. So schrieben die massgebenden Pflegeheim- und Spitexverbände am 21. Juni 2022 in einer Medienmitteilung: «Nicht alle zum Einsatz kommenden Pflegematerialen werden jedoch rechtzeitig in die Liste aufgenommen werden können.» Mit der Folge, dass in solchen Fällen künftig Patientinnen und Patienten zur Kasse gebeten würden.
Die fünf Verbände unterstellten dabei dem Bundesrat, trotz der Finanzierungslücke den Handlungsbedarf nicht zu erkennen. Sie stützten sich bei diesem Vorwurf auf die Antwort des Bundesrats auf eine Interpellation der Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt von den Grünen. In ihrer am 16. März 2022 eingereichten Interpellation wollte sie Klarheit darüber, was der Bundesrat bei Finanzierungslücken zu tun gedenke, ob er die Übergangsregelung erstrecken wolle und ob überhaupt Anträge für Pflegematerial der Kategorie C eingereicht würden.
Wer soll die Anträge stellen?
Gerade das mit den Anträgen ist ein Zankapfel in der ganzen Problematik. Der Bundesrat ist der Meinung, die entsprechenden Anträge müssten von den Leistungserbringern, sprich Pflegeheime und Spitex-Dienste, eingereicht werden. «Das Wissen, welche Pflegematerialien im Markt bei welchen Indikationen eingesetzt werden, liegt einzig bei den Leistungserbringern», schreibt er in seiner Antwort auf die Interpellation Weichelt. Denn falls nur die Vertreter der Industrie Anträge einreichten, bestehe das Risiko einer einseitigen Interessensvertretung.
Doch nach Auffassung der Verbände sind nur die Hersteller in der Lage, die entsprechenden Anträge einzureichen. Nur sie verfügten über die entsprechenden Daten und Fakten der entsprechenden Produkte. Die Verbände hingegen seien dazu nicht in der Lage: «Uns fehlen die Kompetenz und die Ressourcen dazu», sagte hier Patrick Imhof
im Gespräch mit Medinside.Wie Imhof weiter erklärte, könne von einzelnen Pflegeheimen oder Spitex-Organisationen nicht erwartet werden, dass sie den Aufwand auf sich nähmen, wovon dann alle anderen auch profitierten. Zudem ja gar nicht klar sei, für welche Produkte schon Gesuche eingereicht worden seien.
Wie nun das BAG
in einer Medienmitteilung erklärt, hätten die betroffenen Akteure rund 35 Pflegematerialgruppen priorisiert und entsprechende Anträge zur Aufnahme in die MiGeL eingereicht. Sämtliche Anträge seien vom BAG geprüft und der Eidgenössischen Kommission für Analysen, Mittel und Gegenstände (EAMGK) zur Empfehlung vorgelegt worden.
Ab dem 1. Oktober 2022 werden nun all diese auf der Liste aufgeführten Materialien ausschliesslich durch die Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) vergütet. «Finanzierungslücken sind nicht zu erwarten», so das BAG wörtlich. Und sollte es dennoch zu Lücken kommen, wo keine Anträge eingereicht wurden, sei es jederzeit möglich, weitere Aufnahmen von Pflegematerialien zu beantragen.
Was jetzt?
Die Fachverbände sagten Finanzierungslücken voraus, so dass Patientinnen und Patienten schliesslich die Zeche bezahlen müssen. Der Bundesrat hingegen gibt Entwarnung. Was jetzt?
«Die Spitex-Organisationen und die Abgabestellen von Mitteln und Gegenständen sind daran, die MiGeL-Anpassungen zu prüfen und einzupflegen», erklärt Patrick Imhof von Spitex Schweiz. Aus seiner Sicht sei aber klar, dass nicht alle Anträge eingereicht worden sind. «Wo und wie stark dies zu einer Mehrbelastung der Patientinnen und Patienten führen wird, wird erst im Verlauf des Oktobers 2022 deutlich werden.»
Ähnlich sieht das Artiset, die Föderation der Branchenverbände Curaviva, Insos und Youvita. «Unsere Institutionen werden das gelistete Pflegematerial nun prüfen und in die Systeme aufnehmen», heisst es in der schriftlichen Antwort. Wie bereits in der Medienmitteilung angeführt, bestehe aus Sicht der Leistungserbringer das Risiko einer Finanzierungslücke bei der OKP für all die Pflegematerialien, die nicht oder noch nicht beantragt wurden.
Also nochmals: Ist ein Produkt ab dem 1. Oktober 2022 nicht auf der MiGel-Liste, wird es den Patientinnen und Patienten in Rechnung gestellt, sofern es nicht vom Kanton oder der Gemeinde übernommen wird.