Der «Millionenstreit» dreht munter weiter: Kann es sein, dass Ärzte in der Schweiz alleine mit Grundversicherungs-Leistungen über eine Million Franken verdienen? Die Gesundheitspolitiker Alain Berset, Pierre-Yves Maillard, Mauro Poggia sowie BAG-Chef Pascal Strupler setzten diese Zahl in den letzten Wochen aktiv zur in die Öffentlichkeit.
Die Botschaft dahinter: Die Ärzte (insbesondere die Spezialisten) sollen nach dem Tarmed-Eingriff nicht so heikel tun, bitteschön. Es besteht immer noch berechtigtes Einspar-Potential.
«0,4 Prozent der Ärzteschaft»
Diverse Mediziner und Ärzte-Organisationen in der Romandie widersprachen ihrerseits – mit dem Hinweis, dass höchstens ein unrepräsentativer Bruchteil der ambulant tätigen Niedergelassenen derartige Einkommen erzielt; und dies schon gar nicht mit den Grundversicherungs-Vergütungen.
Die FMH hat inzwischen mit
einer eigenen Stellungnahme reagiert: «Die polarisierende Diskussion wird anhand von Einzelfällen geführt, welche 0,4 Prozent der berufstätigen Ärzteschaft ausmachen», so die Mitteilung.
Und weiter: «Behauptungen über Einzelfälle von Ärzten mit sehr hohen Einkommen allein aus Leistungen der Sozialversicherung sind gemäss unseren Berechnungen unplausibel und deswegen in dieser Diskussion nicht sachdienlich. Hohe Einkommen können durch Privatpatienten, Versicherungsgutachten und Expertenmandate entstehen, und tragen daher nicht zu steigenden Krankenkassenprämien bei.»
«Médecins millionaires»
Soweit der Kern der Debatte. Entscheidend ist allerdings die Wahrnehmung in der Bevölkerung sowie bei den politischen Stakeholders.
Und eines lässt sich sagen: Diese These von den hohen Ärzteeinkommen wird effizient gestreut. In der Romandie (wo die Debatte primär läuft) brachte
«Le Matin Dimanche» gestern wieder neue Zahlen. Danach erzielten 2016 in der Westschweiz 39 niedergelassene Ärzte einen Umsatz von 1,5 Millionen Franken und mehr mit Tarmed-Vergütungen. In der ganzen Schweiz waren es 133 – «ces médecins “millionnaires” qui alimentent la polémique actuelle», so die grösste Zeitung der Romandie.
Zürich: 40 Ärzte setzen mehr als 1,5 Millionen um
Die Aussage basiert auf Zahlen von Santésuisse. Danach erzielten im Kanton Zürich 40 Ärzte einen Umsatz über 1,5 Millionen Franken, im Waadtland waren es 17, in Genf 15.
Oder umgerechnet auf die Fachgebiete: 44 Schweizer Praxis-Radiologen schafften einen Umsatz über 1,5 Millionen, gefolgt von den Augenärzten (26) sowie von den Gastroenterologen (17).
Gegenüber «Le Matin Dimanche» erwähnte Santésuisse als Extremfall einen Deutschschweizer Radiologen, der 5,2 Millionen Franken mit Grundversicherungs-Vergütungen erreicht hatte – sowie je einen Opthalmologen und einen Gastroenterologen: Beide schafften Umsätze über 2,5 Millionen.
Die Botschaft, die damit gestreut wird, ist offensichtlich: Ärzte verdienen Millionen aus den Kassenprämien.
Umsatz, Lohn: Ist doch alles dasselbe…
Nur: Die Rede ist jeweils von Umsatz-Werten. Dabei verschwindet jeweils die Frage, wie gross denn letztlich das Einkommen des Arztes ist, wenn man wichtige Unkosten abzieht. Von Medizinerseite wurden in der Romandie oft 50 oder 55 Prozent des Umsatzes genannt: Danach erst zeige sich der wahre Lohn.
In der erwähnten FMH-Stellungnahme gab sich die Ärztegesellschaft sogar noch vorsichtiger: Es sei «weit entfernt von jeglicher Realität», das Einkommen eines Arztes auf 60 Prozent des Praxisumsatzes zu beziffern. «Nachgewiesenermassen betragen die durchschnittlichen Betriebskosten gut 70 Prozent, der Ertrag ist somit nur knapp 30 Prozent des Umsatzes.»
Hier Umsatz, da Lohn: Es ist wirklich interessant. Wenn man es genau liest, melden die Medien völlig korrekt, dass sich nur in extrem seltenen Fällen eine Millionensumme per Grundversicherung verdienen lässt. Die Botschaft der Schlagzeilen ist allerdings eine andere.