Also doch Zwei-Klassen-Medizin

Sozial bessergestellte Menschen gehen häufiger zum Arzt und beanspruchen mehr Vorsorgeleistungen als solche mit tieferem Bildungs- und Einkommensniveau. Das zeigt eine Analyse des Bundesamts für Statistik.

, 17. Oktober 2017 um 06:51
image
  • gesundheitskosten
  • politik
  • statistik
Theoretisch stellt das Schweizer Gesundheitswesen eine gute Versorgung für alle sicher. In der Realität gibt es aber auch Anzeichen einer Zwei-Klassen-Medizin. Wie es sich damit verhält, hat das Bundesamt für Statistik (BfS) in einer Studie untersucht.  
Konkret sind die Statistiker der Frage nachgegangen, wie sich die soziale Stellung, gemessen am Bildungsniveau und/oder dem Einkommen, auf den Gesundheitsszustand und den Bezug von Gesundheitsleistungen auswirkt. Sie stützen sich dabei auf die Daten der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2012.
image

Reiche gehen zum Spezialisten

Die Analyse zeigt, dass Menschen mit höherem Bildungsniveau und deshalb meist höheren Einkommen tendenziell mehr Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen, also mehr zum Arzt oder Zahnarzt gehen, in die Apotheke, zur Podologin oder zum Optiker. 
Es gibt allerdings Unterschiede bei den Leistungserbringern: Menschen mit höherem Bildungsabschluss suchen häufiger einen Spezialisten auf, weniger gebildete Menschen gehen häufiger zu einem Generalisten. Letztere haben auch häufiger einen Hausarzt. Frauen mit hohem Einkommen suchen häufiger eine Gynäkologin auf als Frauen mit tiefen Löhnen.
Bei Leistungen, die nicht von der Grundversicherung vergütet werden, sind die Unterschiede grösser: So suchen Menschen mit tiefen Einkommen weniger regelmässig einen Zahnarzt auf als solche mit hohen Einkommen. Noch ausgeprägter sind die Unterschiede beim Besuch von Dentalhygienikerinnen.
image

Höhere Bildung, mehr Spitalaufenthalte

Beim Bezug von Spitalleistungen geben die Daten je nach Filter ein uneinheitliches Bild. Werden alle Merkmale berücksichtigt, zeigt sich, dass Personen mit höherem Bildungsniveau auch mit höherer Wahrscheinlichkeit hospitalisiert werden als Personen mit einem geringeren Abschluss. 
Auch hier spielt der Versicherungs-Effekt eine Rolle. Hospitalisierungen werden grundsätzlich von der Krankenversicherung übernommen, für den Restbetrag, namentlich die Franchise und die Kostenbeteiligung, muss jedoch der Patient aufkommen. «Die beobachteten sozialen Gradienten können daher zumindest teilweise auf finanzielle Gründe zurückzuführen sein», so die Statistiker. 

Reiche sorgen vor

Auch bei Vorsorgeuntersuchungen zeigen sich Unterschiede: So begeben sich Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen tendenziell eher in Früherkennungstests, besonders wenn es um Gebärmutterhals-, Dickdarm- oder Hautkrebs geht. Das gilt auch für Messungen der Knochendichte zur Abklärung von Osteoporose.
Bei der Früherkennung von Brustkrebs durch Mammografie-Screenings spielen Einkommen und Bildung hingegen keine Rolle. Dies liegt laut den Autoren wohl daran, dass die Screenings einfach zugänglich sind. Analyse fördert vor allem bei Leistungen, die nicht von der Krankenversicherung übernommen werden, soziale Unterschiede zutage. 
«Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen und Krebsvorsorge nach sozialer Stellung» - Bundesamt für Statistik (BfS), September 2017
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

BAB: Natalie Rickli zieht die Reissleine

Die Zürcher Amt für Gesundheit plante, für das Spitex-Pflegepersonal breitgefächert Berufsausübungs-Bewilligungen zu verlangen. Nun ist der Vorgang sistiert.

image

Atomkraftwerk-Betreiber müssen Jodtabletten zahlen

Der Bundesrat will AKW-Betreiber per Gesetz zur Verteilung von Jodtabletten verpflichten.

image

«Es tobt ein heftiger Konflikt mit den Krankenkassen»

Vor einem Jahr der grosse Physio-Aufstand und die Hoffnung auf bessere Tarife. Und jetzt? Laut den Physiotherapeuten geschah wenig. Die Rede ist gar von Schikanen der Krankenkassen.

image

Luzern: Mehr Geld für die ärztliche Weiterbildung

7,65 Millionen Franken sollen zusätzlich in die Weiterbildung von Ärzten in den Spitälern der kantonalen Spitalliste fliessen.

image

Psychiater schreibt den «Berset-Code»

Kein Krimi: In einer Woche erscheint ein Buch über den Ex-Gesundheitsminister Alain Berset. Der Psychiater Gregor Hasler hat es verfasst.

image

Ihre Ideen sind gefragt: Wie spart man 300 Millionen pro Jahr?

Beim ersten «Runden Tisch» des Gesundheitswesens setzten die Akteure ein Sparziel, das ab 2026 gelten soll. Dazu soll auch die Bevölkerung kreativ beitragen.

Vom gleichen Autor

image

Pflege: Zu wenig Zeit für Patienten, zu viele Überstunden

Eine Umfrage des Pflegeberufsverbands SBK legt Schwachpunkte im Pflegealltag offen, die auch Risiken für die Patientensicherheit bergen.

image

Spital Frutigen: Personeller Aderlass in der Gynäkologie

Gleich zwei leitende Gynäkologen verlassen nach kurzer Zeit das Spital.

image

Spitalfinanzierung erhält gute Noten

Der Bundesrat zieht eine positive Bilanz der neuen Spitalfinanzierung. «Ein paar Schwachstellen» hat er dennoch ausgemacht.