Wann der Tod nicht mehr das grösste Übel ist

Welche Krankheit wäre für Sie schlimmer als der Tod? Diese Frage wurde nun schwerkranken Patienten gestellt. Heraus kam eine breite Liste von gefürchteten Einschränkungen.

, 4. August 2016 um 04:00
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Menschen mit akuten und schweren Erkrankungen fürchten nicht unbedingt den Tod am meisten. Eine Kohortenstudie, die jetzt in «JAMA Internal Medicine» veröffentlicht wurde, ging der Frage nach: Was wäre für Sie schlimmer als der Tod? 
Eine Mehrheit der befragten Patienten, so zeigte sich, würde lieber sterben als mit Darm- und Harninkontinenz oder am Beatmungsgerät zu leben. Die Hälfte der Befragten erachtet ans Bett gefesselt zu sein als nicht besser oder gar schlimmer als der Tod. Und für eine signifikante Minderheit ist auch permanente Verwirrung oder Pflegedürftigkeit, Sondenernährung oder ein Leben im Pflegeheim schlimmer als sterben.
In Zahlen: Fast 70 Prozent der Patienten beurteilten Darm- und Harninkontinenz als schlimmer oder genau so schlimm wie sterben. 67 Prozent der Befragten sagten das Gleiche über ein Leben mit einem Beatmungsgerät.
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Die Mediziner und Ethiker der University of Pennsylvania befragten 180 Patienten im Alter von mindestens 60 Jahren mit schweren Erkrankungen zu zehn unterschiedlichen Gesundheitszuständen – und wie sie diese im Vergleich zum Tod beurteilen würden. Die genannten Gesundheitszustände reichten vom Leben im Rollstuhl bis hin zu Darm- und Harninkontinenz.
Emily B. Rubin, Anna E. Buehler, Scott D. Halpern: «States Worse Than Death Among Hospitalized Patients With Serious Illnesses», in: «JAMA Internal Medicine», August 2016
Die befragten Patienten waren von den genannten Einschränkungen nicht betroffen, weshalb sie den Forschern zufolge die Schwere derer Auswirkungen möglicherweise überschätzen. Überdies befragten die Forscher nur eine kleine Gruppe von Patienten in nur einem Spital im US-Bundesstaat Pennsylvania.

Patienten nach Prioritäten fragen

Dennoch legen die Ergebnisse nahe, dass das medizinische Personal die Patienten vor einer Behandlung zu ihren Prioritäten befragen sollten. Obwohl Schwerkranke nicht unbedingt sterben wollen, ziehen manche möglicherweise den Tod einem Leben mit schwerwiegenden Einschränkungen und einer geringeren Lebensqualität vor. 
«Studien von Eingriffen im Spital und konkret auf der Intensivstation ignorieren für gewöhnlich solche Präferenzen und gehen implizit oder explizit davon aus, dass der Tod vermieden werden muss, unabhängig von den Alternativen», schreibt die von Emily Rubin von der University of Pennsylvania angeführte Forschergruppe in der Studie: «Diese Annahme schafft unter Umständen unangebrachte Anreize für Kliniker oder Gesundheitssysteme, medizinische Leistungen zu erbringen, die zu akuten funktionalen Schwächen führen, die Patienten lieber vermeiden, selbst wenn die Alternative der Tod ist.»
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