«Kinder und Jugendliche haben einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie geleistet mit gravierenden Nachteilen für sie selbst, unter denen sie noch Jahre leiden werden. Weitere Beschränkungen ihrer Freiheit zum Schutz für Erwachsene sind nicht mehr zu rechtfertigen.» Das steht in einem offenen Brief, in dem sich deutsche Kinder- und Jugendärzte sowie Virologen und Epidemiologen an die Bundesregierung wenden.
Aktuell wird in Deutschland zwar am Präsenzunterricht in den Schulen festgehalten, doch die «reflexartigen Rufe» nach Schul- und Kitaschliessungen würden immer lauter werden, schreiben die Experten im Brief. Darunter befinden sich unter anderem Detlev Krüger, Ex-Chefvirologe der Berliner Charité und Vorgänger von Christian Drosten, der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit und der Epidemiologe Klaus Stöhr.
Krüger und Stöhr äusserten schon früher Kritik
Deutschen Medienberichten zufolge kritisierten Krüger und Stöhr bereits in der Vergangenheit die Corona-Politik und Lockdown-Massnahmen der Regierung. So verfassten die beiden Wissenschaftler im vergangenen Jahr einen offenen Brief, in dem sie «dringend» von der Inzidenz als Pandemie-Massstab abrieten.
> Anlassbezogene Tests anstatt Quarantäne für gesunde Kinder und Jugendliche als Kontaktpersonen. Für den Bildungsbereich braucht es wissenschaftlich validierte Test-to-stay-Programme, wie sie auch in anderen Ländern genutzt werden. Bei einem positiven Fall testen sich anlassbezogen Kontaktpersonen täglich und dürfen in der Schule bleiben, solange sie negativ getestet sind.
> Eine vorausschauende transparent diskutierte Strategie, die in verschiedenen Szenarien den Übergang von der Pandemie zur Endemie darlegt und insbesondere Kindern und Jugendlichen schnellstmöglich Normalität im Alltag garantiert.
> Eine sachliche und differenzierte Kommunikation, die Ängsten begegnet und Kinder und Jugendliche nicht weiterhin stigmatisiert.
> Die Gleichstellung aller Kinder und Jugendlichen mit geimpften und genesenen Erwachsenen. Der Zugang von Kindern und Jugendlichen zur Teilhabe an Bildung, Kultur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens darf nicht vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht werden.
> Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie müssen auf die Risikogruppen fokussiert werden, nicht auf Kinder und Jugendliche.
Zwar werde sich Omikron schneller verbreiten und «deswegen auch häufiger in Schulen, Kitas und in Kinderkrankenhäusern – in vielen Fällen als Nebenbefund – zu finden sein», so die Experten. Allerdings gebe es keine Hinweise darauf, dass die neue Mutante für Kinder mit einem höheren gesundheitlichen Risiko verbunden sei. Darüber hinaus würden alle Studien bislang auf ein geringeres Krankheitsrisiko bei der Omikron-Variante hinweisen – insbesondere bei Kindern.
Die neue Virusvariante, die zwar infektiöser sei, aber allen bisherigen Erkenntnissen zufolge eine deutlich geringere Krankheitslast mit sich bringe, dürfe Kinder und Jugendliche nicht durch unverhältnismässige Quarantänemassnahmen von Bildung und Teilhabe ausschliessen, heisst es im Brief weiter.
Kritik auch an Covid-Kinderimpfung
Die unterzeichnenden Mediziner sind der Meinung, dass eine allgemeine Impfempfehlung für 5- bis 12-Jährige aufgrund einer noch unzureichenden Datenlage bislang nicht vorliege. Da Kinder und Jugendliche wegen ihres geringen Erkrankungsrisikos nur einen marginalen individuellen Nutzen daraus ziehen würden, müsse der Impfung ein eingehendes Beratungsgespräch vorausgehen, um Risiken und Nutzen miteinander abzuwägen – Schulen, Kitas oder auch Zoos seien dafür keine geeigneten Orte.
Schon vor rund zwei Monaten sagte Krüger in einem Interview mit der «Bild»-Zeitung: «Kinder sind keine Pandemietreiber. Das sagt auch das Robert-Koch-Institut. Am wichtigsten ist: Sie erkranken kaum. Und wer von Kindern verlangt, sie sollten sich allein deshalb impfen lassen, damit Corona in der Bevölkerung zurückgedrängt wird, hat nicht verstanden: Auch Geimpfte tragen das Virus weiter. Man sollte die Kinder endlich aus der Schusslinie nehmen.»