Knieoperationen spielen eine prominente Rolle in der Gesundheitskosten-Debatte: Sie sind Kandidaten für die Verlagerung von stationär zu ambulant. Und sie sind Kandidaten für «Schwarze Listen» und «Choosing Wisely»-Kampagnen, mit denen überflüssige Eingriffe verringert werden sollen.
Aktuelles Beispiel: Derzeit geht das Gesundheitsdepartement Basel bei mehreren Nordwestschweizer Kliniken dem Verdacht nach,
dass zuviele Knie-Eingriffe durchgeführt wurden. Die Gretchenfrage dabei: Wieso stieg die Zahl? Wieso wurden 2016 um rund 20 Prozent mehr solcher Eingriffe getätigt als noch 2010 – obwohl die Fachwelt mehr und mehr davon abrückt?
«Künftige Forschung wird das nicht abändern»
Denn bekanntlich bezweifeln diverse Studien mittlerweile den Sinn vieler Schlüsselloch-Eingriffe am Knie. In dieser Situation kommt nun das BMJ mit einer recht deutlichen und darum aufsehenerregenden Aussage: Danach sollten Knie-Arthroskopien nicht einfach seltener sein – nein, sie sollten fast immer vermieden werden.
Konkret schreibt ein Expertenpanel mit 22 Spezialisten aus 9 Ländern: «Wir machen die starke Empfehlung gegen den Einsatz von Arthroskopien bei fast allen Patienten mit degenerativen Knie-Erkrankungen, basierend auf systematischen Überprüfungen». Und dann: «Es ist unwahrscheinlich, dass weitere Forschung diese Empfehlung abändern wird.»
Aus der Schweiz war
Thomas Agoritsas, Research-Chefarzt der Genfer Unikliniken HUG, an der Aufarbeitung des Forschungsstandes beteiligt.
Die Überprüfung aller vorliegenden Arbeiten habe gezeigt, dass minimalinvasive Knie-Eingriffe im Schnitt nicht zu einer dauernden Verbesserung der Funktion oder zu einem nachhaltigen Abbau des Schmerzes führe. Alternative Wege wie Training und medikamentöse Behandlungen zeitigten fast immer genauso gute oder bessere Ergebnisse.
Lieber ins Training
Insbesondere geht es dabei um Eingriffe gegen Arthrose – was in den westlichen Staaten der häufigste orthopädische Eingriff überhaupt ist.
Eine weitere Grundlage der neuen Überblicksarbeit war eine Studie, welche bereits im Juni letzten Jahres im BMJ veröffentlicht wurde. Dabei waren Patienten mittleren Alters verglichen worden, die unter degenerativen Meniskusrissen litten. Und heraus kam, dass die Kniearthroskopie keine besseren Resultate brachte als Training.
Macht aber nichts. Nicht nur im Raum Basel, sondern in den meisten wohlhabenden Ländern hält der Trend zur Knieoperation an. Im neuen Grundlagenbeitrag stellen die Autoren unter der Leitung des kanadischen Internisten Reed Siemienkuk fest, dass die Zahl solcher Eingriffe in vielen Industriestaaten in letzten zwei Jahrzehnten gestiegen ist – und zwar auch bevölkerungsbereinigt.
Das heisst: Die Kniearthroskopie breitet sich aus, obwohl sich die Fachwelt abwendet.
Viele Subgruppen ergeben eine Mehrheit
Wie kommt das? Auch dazu liefert das BMJ eine Erklärung: «Obwohl es keine Evidenz gibt, dass die Arthroskopie für irgendeine Patientengruppe von Nutzen ist, unterstützen die meisten Richtlinien ihren Einsatz in bestimmten Subgruppen, darunter Menschen mit Meniskusriss, plötzlichen Symptomen (wie Schmerz oder Schwellung) oder mit mild-moderaten Schwierigkeiten bei der Beweglichkeit des Knies. Die meisten Menschen passen in mindestens eine dieser Subgruppen.»
In der Schweiz steht die Kniearthroskopie im Rahmen der HTA-Überprüfungen unter Beobachtung: Sie ist hier Objekt eines Pilotprojekts. Als Alain Berset die HTA-Initiative letztes Jahr öffentlich vorstellte, nannte er denn auch explizit diesen Eingriff, «der den Patienten in vielen Fällen keinen Mehrwert bietet».
Der Gesundheitsminister schätzte damals, dass rund 10 Millionen Franken pro Jahr eingespart werden könnten, wenn man hier auf die Bremse tritt.