Es gibt praktisch kein Land, in dem ein rein Markt-orientiertes Gesundheitswesen funktional umgesetzt ist. Im Gegenteil tendieren stark marktwirtschaftliche Gesundheitssysteme, wie in den USA, zu hohen Kosten oder zu hohen privaten Kostenbeteiligungen im Krankheitsfall. Das KVG setzt vernünftige Leitplanken in einer Verbindung aus Markt und staatlichen Regularien: Entsprechend spielt der Markt und Wettbewerb bereits heute. Dabei kann nun der Fokus auf einer strikten Umsetzung des KVGs liegen und der zukünftige Regulierungsbedarf kann sich hieraus ableiten.
Simon Hölzer
Geschäftsführer DRGGesundheitsökonom, Facharzt für Allgemeinmedizin und Geschäftsführer DRG
Versorgungsqualität
Corona hat gezeigt, dass nicht nur Wettbewerb, sondern überregionale Kooperationen der Spitäler zur Steigerung der Qualität gefördert werden sollten. Dies kann durch einen Mix aus einer Umsatz-orientierten Vergütung über SwissDRG-Fallpauschalen und einer Deckung von fallzahlunabhängigen Vorhaltekosten, unter anderem über Gemeinwirtschaftliche Leistungen (GWL), sichergestellt werden.
Von einer höheren Qualität, potentiell mehr Patienten und Umsatz profitiert das Spital direkt über die DRG-Finanzierungslogik. Diese Mechanismen des Marktes sind intakt und funktionieren. Dort wo nötig kann Qualität indirekt über Personal- oder Infrastrukturvorgaben gezielt finanziert oder gefördert werden. Auch hier wiederum möglichst einheitlich und für alle qualifizierten Leistungserbringer in gleicher Höhe.
So liegt es auf der Hand, was Umsatz-bezogen finanziert werden kann und welche Bereiche, z.B. über Aktivitäts-bezogene GWL, allenfalls für zukünftige Krisen - mit dem Blick auf eine faire Finanzierung - vorsorglich geregelt werden sollten. Eine finanzielle Sicherheitsmarge für gut ausgebildetes Personal erscheint dabei erstrebenswerter als eine pauschale Bereitstellung von «Geld für Nicht-Leistung» bzw. die Rückabwicklung von Ertragsausfälle. Zu normalen Zeiten sollten alle in der Spitalplanung als notwendig erachteten Spitäler unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit kostenorientiert und mit konkurrenzfähigen Preisen arbeiten können. Für Krisenzeiten wäre dann derjenige Teil der als System-relevant eingestuften Spitäler auch finanziell gewappnet.
Fairer Wettbewerb
Die Kernfrage bleibt, an welchen Stellen der Staat in den Markt steuernd eingreifen sollte, da sich dessen Akteure nicht per se vernünftig verhalten. Und wie kann dieser steuernde Eingriff geschehen ohne den Wettbewerb zu unterbinden und zusätzliche Ungleichheiten zu schaffen. Denn es sind im aktuellen Gesundheitsmarkt diese Ungleichheiten, die zu einer Marktverzerrung und allenfalls Bestrafung effizienter Leistungserbringer führt. Problematisch sind die Vielzahl an Einzelmassnahmen, Sondertatbeständen und Finanzierungsmöglichkeiten abseits einheitlicher Vorgaben. So wird die Preisflexibilität in den gesetzlich verankerten, tarifvertraglichen Preisverhandlungen überstrapaziert, da die direkte Vergleichsmöglichkeit eingeschränkt wird und damit die Marktmechanismen ausgehebelt werden können.
Kantonale Hoheit
Parallel sollte es sich die Schweiz leisten können, gewünschte Versorgungsstrukturen und die Innovationskraft regionalpolitisch zu fördern und zu finanzieren. Dies darf aber nicht auf Kosten wichtiger Marktmechanismen, unter anderem den Vergleichsmöglichkeiten im Rahmen des oben genannten Preis-Benchmarks, gehen. So wäre z.B. eine Vereinheitlichung der zweckgebundenen Finanzierung zwingend notwendiger GWL wünschenswert. Und eine Regelung, in welcher Form sich die einzelnen Anbieter für die Erbringung dieser Leistungen qualifizieren. Auch hier sind mit den kantonalen Leistungsaufträgen oder mit der Möglichkeit der Ausschreibung von Leistungspaketen die Werkzeuge vorhanden.
Feintuning statt grosse Reformen
Ein Feintuning kann sicherstellen, dass die Grundsätze der neuen Spitalfinanzierung gemäss den Anpassungen des KVGs aus dem Jahr 2009 konsequenter umgesetzt werden. Das Preisniveau pro Spital zur Erbringung der notwendigen und sachgerechten Leistungen (WZW) kann mittels Benchmark über alle Spitäler hinweg statistisch robust gefunden werden. Abweichungen sind möglich, erklärbar und deshalb auch begründbar. Es liesse sich darlegen, um wieviel teurer oder günstiger ein Spital im Vergleich zum Markt ist. So kann gesundheitspolitisch diskutiert werden, welche Differenzen tolerierbar sind und ob allenfalls grössere Abweichungen im Einklang mit den Bedürfnissen der Bevölkerung stehen. Trotz dieser staatlichen Regulierung bleibt das Schweizer Gesundheitswesen sehr liberal. Der Markt ersetzt nicht den Staat oder umgekehrt. Es braucht keine grossen Reformen, sondern ein Feintuning am Zusammenspiel von Markt und Staat.