Wir haben in der Schweiz ein ineffizientes Spitalwesen. Viele Kantone streben Verbesserung an. Welcher macht es besonders gut?
Ich denke, im Moment macht es keiner besonders gut.
Welcher Kanton macht es am wenigsten schlecht?
Einige Kantone haben gehandelt, etwa hat Zürich die AVOS-Liste eingeführt: ambulant vor stationär. Also eine Auflistung von Eingriffen, die von Ausnahmen abgesehen nur noch ambulant durchgeführt werden dürfen. Doch das ist alles nur Stück- und Flickwerk. Man hat nie die Frage beantwortet, was wir in der Region für eine Gesundheitsversorgung wollen. Spätestens am 21. Dezember 2007, als das Parlament entschieden hat, das Fallkostenpauschal-System SwissDRG einzuführen, hätte man sich diese Frage stellen und Lösungen suchen müssen.
Swiss DRG wurde 2012 eingeführt. Wieweit hat diese neue Abrechnungsmethode die Spitäler effizienter gemacht?
Seit neun Jahren funktioniert dieses System scharf. Aber die Spitallandschaft hat sich nicht wirklich angepasst – noch nicht. Mit Appenzell wird es erstmals einen Kanton geben, der kein breites stationäres Angebot mehr anbietet. Wer wird der nächste sein? In Deutschland beispielsweise konnten schon fünf Jahre nach Einführung von DRG Effizienzverbesserungen beobachtet werden.
Was genau hat Deutschland besser gemacht als die Schweiz?
Sie habens nicht besser gemacht. Sie habens anders gemacht. Sie haben einen Kostendeckel definiert, wie das auch in der Schweiz diskutiert wird. Hierzulande spricht man von Zielvorgaben oder vom Globalbudget. Zudem haben sich Spitäler spezialisiert oder sind in Gruppen aufgegangen.
Zielvorgaben möchte ja der Bundesrat auch einführen, scheint aber nicht mehrheitsfähig zu sein.
Das sehe ich auch so. Die potentiellen Verlierer werden auf die Bremse stehen.
Bedauern Sie das?
Nicht wirklich. Die Konsequenzen sind mir nicht ganz klar. Es gibt zu grosse Ungewissheiten, so dass ich das Spiel nicht eingehen würde. Es wäre mir zu riskant. In Deutschland waren die Erfahrungen nicht nur positiv. Es gab auch negative Effekte. Um auf die Fallzahlen zu kommen, wurden Patienten für Behandlungen aufgeboten, die nicht notwendig gewesen wären.
Sie sagten, die Spitäler in der Schweiz seien jetzt daran, die Effizienz zu verbessern.
Ja. Einerseits haben sich die Spitäler in der Qualität verbessert; andererseits aber auch in der Effizienz. Zur Effizienz kann generell gesagt werden, dass die ganz grossen und die kleinen Spitäler am ineffizientesten sind. Am effizientesten sind die mittelgrossen Spitäler.
Interessant: In der Wirtschaft ist es gerade umgekehrt. Mittelgrossen Unternehmen fehlt oft die kritische Grösse. Die Kleinen sind flexibel und können sich in Nischen behaupten.
Bei Spitälern ist es umgekehrt: Die kleinen Spitäler haben das Problem, dass sie nicht genügend Patienten haben, um Personal und Infrastruktur optimal auszulasten. Und die ganz grossen Spitäler sind wahrscheinlich zu komplex. Es ist bekannt, dass zu komplexe Organisationen nicht effizient sind.
Das wären ja vor allem die Universitätsspitäler.
Ja, das sind Spitäler, die hohe Kosten für Forschung und Ausbildung haben. Ob das aber der Grund der mangelnden Effizienz ist, ist schwer zu sagen.
Gemessen an den Gewinnmargen müssen wir doch generell eine mangelhafte Effizienz konstatieren, auch bei mittelgrossen Spitälern. Oder sehen sie hier Verbesserungen?
Nein, die Rentabilität ist eher schlechter geworden. Das ist mit den sinkenden Margen auf der Ertragsseite und mit der immer noch zu hohen Kostenstruktur zu erklären. Die Spitäler haben die Kostenstruktur noch immer nicht angepasst.
Angepasst an was?
An den medizinischen Fortschritt. Wenn immer mehr Eingriffe ambulant vorgenommen werden, braucht es weniger Betten. Der Abbau von Betten muss also weiter gehen. Zusätzlich denke ich an die Behandlungen, die es zu verbessern gilt.
Martin Bienlein
17 Jahre, von 2002 bis 2019, lobbyierte Martin Bienlein beim Spitalverband Hplus für die Spitäler im Parlament und war am Aufbau des Verbandes zu einem der Spitzenverbänden des Gesundheitswesen beteiligt. 13 Jahre leitete er den Geschäftsbereich Politik. Heute ist der 52-Jährige Berater im Gesundheits- und Sozialwesen und arbeitet mit Krauthammer und Partner.
Haben Sie ein Beispiel?
Das Berner Inselspital hat für seine Neubauten analysiert, mit welchen Patienten Ärztinnen und Ärzte Kontakt haben. Man will damit verhindern, dass zu grosse Zeitverluste entstehen, wenn Ärzte von einem Trakt von ihrer Station zum anderen Trakt der anderen Station laufen müssen, um einen Patienten zu begutachten. Man muss also Stationen, die Überschneidungen haben, geografisch nahe zusammenlegen. Das wäre so eine Massnahme, die einen besseren Ablauf gewährt. Auch in der Pflege sind die Abläufe nicht immer optimal. Pflegende werden dauernd gestört und können nicht in Ruhe arbeiten.
Sie sprechen das Lean Management an. Kennen Sie ein konkretes, positives Beispiel?
Das Inselspital habe ich genannt. Das betrifft sozusagen die Zukunft. Als positives Beispiel einer bestehenden Infrastruktur kann ich das Spitalzentrum Biel nennen, welches in der Chirurgie Lean Management einführte. Dort wurden die Abläufe neu geregelt und klar definiert. Dem Patienten wird am Morgen klar gemacht, was an dem Tag passiert, wer für was verantwortlich ist. So können all die Rückfragen und Unsicherheiten seitens der Patienten abgebaut werden, was wiederum das Pflegepersonal entlastet.
Besonders gut scheinen es die Hirslandenspitäler zu machen. Sie sind hochrentabel. Was machen sie besser?
Die Privatspitäler sind von ihrer Natur her schon darauf getrimmt, dass sie effizient arbeiten müssen. Das liegt in der Natur der Sache. Bei den öffentlichen Spitälern ist das betriebswirtschaftliche Denken heute weniger ausgeprägt. Das hat auch mit der starken Stellung der Ärztinnen und Ärzte zu tun.
Könnte betriebswirtschaftliches Denken auch bedeuten, dass man prioritär auf lukrative Privatkunden fokussiert, wie das Hirslandenspitäler teilweise zu machen scheinen?
Das mag dazu beitragen. Ich zweifle aber, dass das der alleinige Grund für die bessere Effizienz ist. Hirslanden hat innerhalb der Gruppe einzelne Häuser spezialisiert, so dass nicht alle alles machen. Die einzelnen Standorte generieren damit höhere Fallzahlen. Privatspitäler sind in der Regel kleinere Häuser, aber meistens eben auf bestimmte Fachgebiete spezialisiert.
Führt nicht auch AVOS zu einem schlechteren Betriebsergebnis? Spitäler sagen, im Unterschied zum DRG im stationären Bereich sei der Tarmed im ambulanten Bereich nicht kostendeckend.
Das sagen sie. Vor Covid-19 hat kein Spital Minus gemacht.
Aber Spitäler haben doch einen monetären Anreiz, Patienten stationär statt ambulant zu behandeln.
Das kommt sehr auf die Behandlung an. Es gibt Behandlungen, bei denen die stationäre lukrativer ist und es gibt Fälle, bei der die ambulante Behandlung lukrativer ist. Und das Spital kann die Patienten steuern.
Macht es AVOS den Spitälern noch schwieriger, eine EBITDA-Marge von 10 Prozent zu erzielen?
Mit den alten Strukturen Ja. Und deswegen müssen sie die Strukturen und Prozesse verbessern, um effizienter zu werden. Das ist ja das, was flächendeckend in den letzten 20 Jahren gefehlt hat.
Die Pandemie brachte Spitäler an ihre Grenzen. Was müssen Spitäler daraus für Lehren ziehen?
Man muss unterscheiden zwischen der Krisensituation und dem normalen Betrieb. Der normale Betrieb musste ja während der ersten Welle mehr oder weniger eingestellt werden. Darauf folgte eine Aufholjagd. Da wurden die Spitäler geradezu gezwungen, effizienter zu arbeiten und Abläufe und Prozesse zu optimieren. Sie haben nun die Chance, diese Optimierungen weiterzutreiben. Spitäler, die in die Vor-Covid-19-Zeit zurückgehen, werden die Zukunft nicht mehr erleben.