Die Finanzmarktaufsicht (Finma) hat derzeit viel zu tun. Noch mehr zu tun haben aber all die Krankenversicherer, bei denen die Finma ein Audit durchführte und Hausaufgaben verordnete. Die Rede ist hier von den Tarifverträgen mit den Spitälern für Privat- und Halbprivatpatienten.
«Intransparent und heterogen»
«Diverse Analysen der Finma haben gezeigt, dass viele Tarifverträge zwischen Krankenversicherern und Leistungserbringern – Ärzten und Spitälern – derart intransparent und heterogen sind, dass sie zu Fehlanreizen führen können und Spielraum für eine zu grosszügige Kostenüberwälzung von Leistungen auf die Krankenzusatzversicherung bieten.» Dies sagte am Freitag ein Finma-Sprecher auf Anfrage von Medinside.
Denn in der Branche ist wiederholt von Fällen zu hören, bei denen die Finma die beaufsichtigten Krankenversicherer zu Strafaufgaben verdonnert. Medinside wollte daher von der Aufsichtsbehörde wissen, wie weit sie das bestätigen kann.
«Mehrleistung ist nicht ersichtlich»
Und ja, die Bestätigung folgt auf dem Fuss: «In vielen Leistungsabrechnungen ist nicht ersichtlich, welche Mehrleistungen in der Zusatzversicherung in Ergänzung zu abschliessend definierten Fallkostenpauschalen in Rechnung gestellt werden», bestätigt die Aufsichtsbehörde.
Als Folge davon könnten die Versicherer nicht effektiv kontrollieren, inwieweit die vergüteten Kosten im Verhältnis zu den tatsächlich erbrachten Zusatzleistungen angemessen seien.
Teil der Aufsichtstätigkeit der Finma besteht darin, die Corporate Governance eines Krankenzusatzversicherers zu überprüfen. Sie erwartet von den Anbietern von Spitalzusatzversicherungen unter anderem, dass sie nur Abrechnungen für echte Mehrleistungen ausserhalb der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) akzeptieren, und dass sie zudem sicherstellen, dass die Mehrleistung in einem angemessenen Verhältnis zu den verrechneten Kosten steht.
Grosse Kostenunterschiede
Ist die Mehrleistung auch immer in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten? Kaum. So sei an den Kostenvergleich erinnert, der Anfang November auf diesem Portal
hier publiziert wurde. Bei einem Halbprivatpatienten verlangt das Kantonsspital St. Gallen für die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks mehr als das Doppelte als die Kantonsspitäler Graubünden und Zug. Und auch die Regionalspitäler im Kanton St. Gallen verlangen für diesen Routineeingriff mehr als die Kantonsspitäler in Schaffhausen, Luzern, Chur und Zug.
Medinside publizierte
hier auch die Tarife, die ausgewählte Spitäler bei Privatpatienten für einen Kaiserschnitt verlangen.
«Wirksame Kontrollen»
Wenn ein Krankenversicherer derart grosse Unterschiede akzeptiert, muss er sich von der Aufsicht die Frage gefallen lassen, ob er einer ordentlichen Geschäftsführung, wie sie im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) verankert ist, gerecht wird. «Die Krankenversicherer müssen gegenüber der Finma den Nachweis erbringen können (…), dass wirksame Kontrollen bestehen, damit überhöhte Abrechnungen verhindert werden», erklärt der Finma-Sprecher.
«Klarer Mehrnutzen»
Die Tarife der Spitäler ist das eine; die Prämie der Zusatzversicherung etwas anderes. «Für die Zukunft ist zu erwarten», so die Finma, «dass Produkte der Krankenzusatzversicherung einen klaren Mehrnutzen gegenüber der Grundversicherung aufweisen, der auch preislich nachvollzogen und verglichen werden kann. Prämienzahlende sollen einen fairen Preis für echte Mehrleistungen zahlen. Die Versicherer müssen dies sicherstellen und die Finma sie dabei überwachen.»
Spitalversicherung deckt nur stationäre Behandlungen
Wo aber liegt der Mehrnutzen gegenüber der Grundversicherung? Mehr und mehr Eingriffe werden heute ambulant und nicht mehr stationär durchgeführt. Allein dieser Befund müsste dazu führen, dass die Prämien für Spitalversicherungen sinken.
Ansonsten wird als Mehrnutzen die freie Spital- und Arztwahl sowie das Zwei- beziehungsweise Einbettzimmer angegeben. Dieser Mehrnutzen ist gerade bei der Halbprivatversicherung ein fadenscheiniges Verkaufsargument, wenn immer mehr Spitäler kaum mehr über Vierer- und Sechserzimmer verfügen.
Keine Verträge mit Ärzten
Ein Problem kommt noch dazu: Man gewährt freie Arztwahl; hat aber mit den betroffenen Belegärzten gar keine Verträge. Mitte September erklärte die Helsana-Sprecherin im Gespräch mit Medinside: «Herausfordernd bleibt, dass die Vergütung der freien Arztwahl nicht überall vertraglich geregelt ist.» Ohne vertragliche Regelung der Leistungen sei es jedoch schwierig, den Wert der Mehrleistungen zu überprüfen beziehungsweise den Tarifschutz zu gewährleisten. «Deshalb streben wir auch hier an, für die Spitalzusatzversicherungen mit anerkannten Belegärzten eine vertragliche Lösung zu finden.»
Die welschen Ärzte sind die schlimmsten
Die Umsetzung der Finma-Vorgaben ist insbesondere in der Romandie eine grosse Herausforderung, wie mehrere Leistungseinkäufer hinter vorgehaltener Hand bestätigen. Die welschen Belegärzte, die an mehreren Spitälern operieren, betrachten sich als selbstständig erwerbend. Was Krankenversicherer mit Spitälern aushandeln, interessiert sie nur mässig.
In manchen Fällen geht das so: Die Krankenkasse erhält vom Spital die Rechnung; der Arzt seinerseits schickt seine Rechnung dem Patienten, der wiederum die Rechnung der Kasse schickt. Häufig sieht das Spital nicht, was der Arzt in Rechnung stellt. «Das ist historisch gewachsen», erklärt ein Insider, der jeweils mit Spitalvertretern am Verhandlungstisch sitzt. Diese Philosophie zu ändern sei extrem schwierig.