Patienten klagen, dass ihr Arzt keine Zeit für sie hat. Umgekehrt klagen Ärzte, dass sie keine Zeit für ihre Patienten haben. Der unerbittliche Minutentakt führt dazu, dass viele Patienten emotional unter- und technisch überversorgt sind.
Kein Wunder boomt das Gratis-Angebot, das zwei Ärztinnen und ein Arzt vor knapp zwei Jahren gegründet haben: Das
«Café Med». An diesen Anlässen bieten die Mitarbeiter der
Akademie Menschenmedizin (amm) medizinische Entscheidungshilfe für alle.
Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand haben Zeit für Beratung
Pensionierte Gesundheitsfachleute machen an diesen Veranstaltungen das, was viele Ärztinnen und Ärzte aus Zeitmangel nicht mehr tun: Ausführlich beraten, welches die beste Therapie sein könnte.
Vor bald zwei Jahren haben die Psychotherapeutin Annina Hess-Cabalzar, Brida von Castelberg, Gynäkologin und ehemalige Chefärztin des Zürcher Triemlispitals und der ehemalige Chefarzt Innere Medizin am Spital Affoltern, Christian Hess, das «Café Med» gegründet.
Der Grund: Die Medizin bietet mittlerweile so viele Behandlungsmöglichkeiten, dass Patienten kaum mehr entscheiden können, was für sie geeignet ist. Die Ärzte haben jedoch kaum Zeit für Gespräche, Fragen oder die ausführliche Besprechung von Alternativen.
«Im Café Med erklären wir den Ratsuchenden Diagnosen und Therapiemöglichkeiten, damit sie verstehen, was sie von einem möglichen Eingriff erwarten können», erklärte der Arzt Christian Hess kürzlich in einem Interview mit der medizinischen Fachzeitschrift «Praxis-Depesche».
Vertrauensverlust: Nützt die Behandlung nur der Praxis oder dem Spital?
«Die Komplexität der medizinischen Möglichkeiten nimmt zu, jedoch ist nicht jede Therapie tatsächlich sinnvoll», findet Christian Hess. Immer häufiger seien Patienten verunsichert. Weil viele medizinische Angebote teuer sind, fragen sich auch immer mehr Patienten, ob ihnen eine Behandlung oder eine Operation nur deswegen verordnet wird, weil die Praxis damit ihren Umsatz oder das Spital seine Operationszahlen erhöhen kann.
In der Regel dauert ein Gespräch im «Café Med» eine gute halbe Stunde. Die Patienten werden nicht untersucht, es werden auch keine Rezepte ausgestellt. Die medizinischen Fachleute geben keine Empfehlungen ab, sondern klären auf. Die Entscheidung bleibt beim Patienten.
Auch für medizinische Fachpersonen, die unter Missständen leiden
Nicht nur Patienten, auch medizinische Fachpersonen können sich im «Caé Med» Rat holen. Es kommt vor, dass sie unter Missständen in ihrem Spital leiden, jedoch dort keine Anlaufstelle haben und auch nicht den Mut, mit ihrem Vorgesetzten darüber zu sprechen.
Im «Café Med» in Zürich sind jeweils bis zu zehn Fachpersonen vor Ort, und zwar am zweiten und vierten Montagnachmittag im Bistro «Chez Marion» am Zähringerplatz. Nach einer Triage am Eingang gehen die Ratsuchenden an einen freien Platz und machen sich mit den Rahmenbedingungen bekannt. Danach kommt die zuständige Fachperson und nimmt sich die Zeit, die es braucht. Seit einem halben Jahr gibt es das Angebot auch in Luzern.
Pro Nachmittag kommen 20 bis 30 Ratsuchende. Mittlerweile besteht das Team aus rund 20 Chefärztinnen und Chefärzten, Professoren, Hausärzten, Psychotherapeutinnen und Sozialarbeiterinnen. Einzige Bedingung ist, dass sie pensioniert sein müssen, damit kein Interessenskonflikt besteht.
Die Termine
In Zürich finden die Beratungen jeden 2. und 4. Montag im Monat von 15.00 bis 18.00 Uhr im Bistro «Chez Marion» statt.
In Luzern finden die Beratungen immer am ersten Montag im Monat von 14.30 bis 17.00 Uhr im «Melissa's Kitchen» statt.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Am 20. März findet das Medizin-Café erstmals im Zürcher Lavater-Saal statt.
Die Begleitung zum Arzttermin ist ein weiteres kostenloses Angebot der Akademie Menschenmedizin.