Was kommt auf uns zu, wenn wir die letzte Schwelle überschreiten? Welche Bedürfnisse haben schwer kranke Patienten vor ihrem Tod? In den letzten Jahrzehnten hat die Begleitung von Patienten am Lebensende zu vielen Erkenntnissen geführt, welche in die Palliative Care eingeflossen sind.
Eine der Pionierinnen auf dem Gebiet der Sterbebegleitung und -forschung ist
Monika Renz, seit 1998 Leiterin der Psychoonkologie am
Kantonsspital St.Gallen (KSSG). Die
Palliativstation des Spitals war vor 25 Jahren die erste ihrer Art in der Deutschschweiz.
«Teilnehmende Beobachterin»
Monika Renz begleitet mit einem Team Sterbende und deren Angehörige. Als «teilnehmende Beobachterin», wie sie es nennt, hat sie zuerst 80 und später 600 Sterbende beobachtet, erfasst und analysiert.
Zusammen mit den Palliativmedizinern Florian Strasser und Daniel Büche entwickelte sie einen Ansatz, der im Kantonsspital St.Gallen zur Kultur der Sterbebegleitung geworden ist. Laut Spital wird er von Patienten und Angehörigen geschätzt und entsprechend nachgefragt.
Sterben verändert Bewusstsein
Der Ansatz basiert darauf, dass im Sterbeprozess eine Bewusstseinsveränderung passiert. Der Sterbende gibt in einer ersten Phase die egozentrische Wahrnehmung und das Erleben auf, überschreitet dann oft mehrfach eine Bewusstseinsschwelle mit Kampf und Verzweiflung und erfährt in der dritten Phase Glückseligkeit und Friede.
«Sterben ist ein strukturierter Prozess, in dem sich Phasen voller Angst und Schmerz mit spirituellen Erlebnissen abwechseln», sagt Renz gegenüber
AscopostAscopost, der Online-Plattform der weltweit wichtigsten Onkologie-Organisation Asco. Spirituelle Phasen - wie das häufig berichtete helle Licht - sollen helfen, den Sterbeprozess zu erleichtern.
Mit Sterbenden sprechen
Die Palliativmedizinerin setzt sich dafür ein, Sterbende psychologisch und spirituell zu betreuen. Sie rät Pflegenden und Angehörigen, ein Sensorium für sterbende Menschen und ihre Sprache zu entwickeln. Dies gelinge am besten, wenn sie sich selber mit dem Thema auseinandersetzten.
Wichtig sei der Mut, mit Sterbenden zu sprechen. Nicht über Banalitäten oder über das, was in der Zeitung stehe - sondern über das, was im Leben wichtig gewesen sei.
Für den Spitalalltag bedeutet das, am Sterbebett präsent zu sein, Familienbeziehungen anzusprechen und Traumbilder aufzuspüren. Zum Therapieangebot gehören auch Traumdeutung sowie Berührungen. «Ich berühre nur solche Patenten, die ich kenne», hält sie gegenüber der
NZZ fest, «und ich erwähne stets, dass es erlaubt ist, Nein zu sagen.»
Weniger Schmerzmittel
Gemäss
Thomas Cerny, Chefarzt Onkologie am KSSG, müssen dank der Einbindung von Monika Renz ins Behandlungsteam weniger Beruhigungs- und Schmerzmittel eingesetzt werden. So könne eine bisher verpasste Aussöhnung mit der Familie auch starke Schmerzen zum Verschwinden bringen.
Studium der Theologie
Gegenüber Ascopost äusserte sich Monika Renz auch über ihre Motivation. Ihr Hauptantrieb für ihre Forschung rührt von mehreren Unfällen und längeren Krankheitsphasen her. Als Patientin erfuhr sie am eigenen Leib, was sie später in Studien als Bewusstseinsveränderung analysierte.
«Ich entdeckte zwei verschiedene Wesenszustände: Im einen litt ich unter starken Schmerzen, im anderen hatte ich keine. Im einen war ich präsent und kontrolliert, im anderen weit weg von Zeit und Raum und dennoch sehr klar.» Diese Erlebnisse standen am Ursprung ihrer Forschung. Um die spirituelle Not der Patienten besser zu verstehen, studierte sie später auch Theologie.
Buch auch auf Englisch
Ihre Erkenntnisse hat Monika Renz in ihrem Buch «Hinübergehen - was beim Sterben passiert» niedergeschrieben. Für den englischsprachigen Raum ist das Buch neu unter dem Titel «Dying: a Transition» im Verlag Columbia Press erschienen.
Am Mittwoch, dem 20. Januar 2016, findet im Kantonsspital St. Gallen ab 17.30 Uhr die Vernissage mit geladenen Gästen und einem Rahmenprogramm statt.
Monika Renz, Leiterin der Psychoonkologie am Kantonsspital St. Gallen und Buchautorin. (Bild: zVg)
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