Herr Kressig, viele Ärzte und Pflegekräfte müssen an den Feiertagen arbeiten – wo und wie verbringen Sie dieses Jahr Heiligabend?
Ich werde tagsüber arbeiten und abends im kleinsten Familienkreis bei meinen nun fast 90-jährigen Eltern in der Nähe von Zürich feiern. Dies ist seit Jahren Tradition. Seit vergangenem Jahr feiern wir «abgespeckt», das heisst, wir verzichten auf die früheren kulinarischen Höhenflüge und stellen das Zusammenkommen und Beisammensein ins Zentrum.
Wie wird in der Universitären Altersmedizin Felix Platter Weihnachten gefeiert? Gibt es für die Angestellten, die dann arbeiten müssen, beispielsweise ein spezielles Essen?
Uns ist es ein grosses Anliegen, dass sich die Patientinnen und Patienten auch über die Festtage gut aufgehoben und wohl fühlen. Bereits seit dem ersten Advent ist das Spital festlich geschmückt: In der Eingangshalle sowie in weiteren Räumen stehen Weihnachtsbäume, und Weihnachtsdekoration wurde angebracht; auf den Stationen findet man festliche Gestecke vor. Am 23. Dezember bekommen sowohl die Patientinnen und Patienten als auch die Stationsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter ein Live-Weihnachtskonzert zu hören. Für die Angestellten und auch für die Patienten gibt es ein exklusives Festtagsmenü. Letzteren wird zusätzlich ein Glas Wein zum Abendessen angeboten.
Was wird sonst noch unternommen, um den Patienten ein bisschen Feststimmung ins Zimmer zu zaubern?
Die Patientinnen und Patienten bekommen an den Weihnachtstagen jeweils einen Schoggi-Weihnachtsmann, Guetzli und eine Weihnachtskarte. Sie erhalten zudem eine Karte mit Informationen zu Weihnachtsgottesdiensten, die im Fernsehen und im Radio laufen. Diese können sie dann vom Zimmer aus verfolgen. Die Privatpatientinnen und -patienten bekommen zusätzlich, bereits in der Adventszeit, weihnachtlich geschmückte Blumenarrangements.
Als Ärztlicher Direktor im Bereich Altersmedizin behandeln und betreuen Sie betagte Menschen. Was können Sie persönlich von Ihren Patienten lernen?
Nach über 30-jähriger klinischer Tätigkeit bin ich immer noch täglich beeindruckt vom Mut, der positiven Sichtweise und der Neugierde vieler älteren Patientinnen und Patienten – und dies, obwohl sie durch akute und chronische Erkrankungen eingeschränkt sind! Diese beeindruckende Resilienz hilft mir auch im eigenen Prozess des Älterwerdens.
Wenn Sie das Jahr 2021 Revue passieren lassen, mögen sie sich an ein besonders schönes Erlebnis aus Ihrem Arbeitsalltag erinnern?
Im Sommer bekam ich eine Postkarte von einer 87-jährigen Patientin, die ich im Januar wegen ihrer Immobilität und Muskelschwäche in meiner Sprechstunde beraten durfte. Sie berichtete mir damals, dass sie dank der verschriebenen und täglich durchgeführten Beinkraftübungen sowie dem Leucin-verstärkten Molkeproteinsupplement den Rollstuhl nicht mehr benötige und wieder Treppen steigen und zurzeit sogar Ferien im Tessin geniessen würde. Sie schrieb mir auch, dass sie neu jeden Morgen ein Ei esse und dabei an mich denken würde.
Was wünschen Sie sich für das Jahr 2022?
Ich sehne mich nach einem Ende der Pandemie und der damit verbundenen Lethargie und Müdigkeit… und nach einem Spitalbetrieb ohne ständige Isolationen, Quarantänen und Besucherstopps. Allen Spitalmitarbeiterinnen und -mitarbeitern – inklusive mir – wünsche ich wohlverdiente längere Ferien und dass mit der daraus entstehenden positiven Energie unsere tägliche Arbeit am Patienten mit der früheren Freude und Befriedigung ausgeführt werden kann.
Zur Person
Reto W. Kressig ist Ärztlicher Direktor der Universitären Altersmedizin Felix Platter in Basel und Inhaber der klinischen Professur für Geriatrie an der Universität Basel. Er studierte und promovierte an der Universität Zürich, nach einem Postdoctoral Training in Atlanta (USA) habilitierte er an der Universität Genf.
Kressig engagiert sich seit über zehn Jahren an der Universität Basel für den Fortschritt der universitären Altersmedizin. Er ist Autor von über 160 wissenschaftlichen Original-Publikationen zu den Schwerpunkt-Altersthemen Kognition, Mobilität und Ernährung. Er ist Herausgeber des Geriatrieforums in der Fachzeitschrift «Der informierte Arzt» und Editorial Board Member der Amerikanischen Geriatrie-Fachzeitschrift «Journal of the American Geriatrics Society».
Einstimmen auf Weihnachten
Morgen lesen Sie das Weihnachtsinterview mit Isabelle Steiner, die als Chefärztin und Co-Leiterin am Notfallzentrum für Kinder und Jugendliche (NZKJ) des Inselspitals tätig ist, und in den nächsten Tagen erscheint das Weihnachtsinterview mit dem St. Galler Infektiologen Pietro Vernazza, der in diesem Sommer in Pension ging.