«Wenn wir wissen, woher wir kommen, verstehen wir besser, wo wir stehen». Dieses Zitat von Bundesrat Ueli Maurer anlässlich seiner Neujahrsrede 2019 fasst prägnant zusammen, worum es hier geht. Abgesehen von der aktuell viel diskutierten Generationenthematik und deren Konsequenzen für die Mitarbeiterführung darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass uns insbesondere die Sozialisierung massgeblich prägt. Unter «Sozialisierung» verstehen wir dabei die Prägung des Individuums durch die Familie und den Kulturraum.
So sind zum Beispiel für die «Schweizer Kultur» Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Freiheit und die Bedeutung des Individuums zentrale Werte. Auch wenn diese Werte im Alltag nicht ständig präsent sind, so durchdringen sie unser Leben, sei das in der Schule, in der Politik oder im beruflichen Alltag. Sie beeinflussen die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, wie wir kommunizieren, Entscheidungen fällen oder Konflikte austragen.
Konkret auf den Rekrutierungsprozess bezogen, sollten wir im Idealfall also eine möglichst hohe Übereinstimmung der Wertvorstellungen einer (Führungs-)Person mit den Werten eines Unternehmens erreichen. Dieser Fit ist zentral, weil Werte relativ stabil sind und sich nicht rasch «trainieren» oder «verändern» lassen.
Die Messung in der Praxis
Es stellt sich also die Frage nach einer praktikablen Messung von Werten. Während Persönlichkeitsmerkmale über wissenschaftlich validierte Tests wie z.B. e-stimate® relativ einfach und verlässlich über standardisierte Instrumente gemessen werden können, ist die Messung von Werten aufwändiger. Am klarsten werden Wertvorstellungen durch eine längerfristige Beobachtung des effektiven Verhaltens einer Person. Diese Methode steht in einem Rekrutierungsprozess natürlich nur bedingt zur Verfügung. Realistisch sind möglichst strukturierte, aber offene Fragen. Solche Fragen lassen sich der Führungsperson sowohl direkt als auch im Rahmen von Referenzgesprächen indirekt stellen.
Was bedeutet dies nun konkret? Bereits am Anfang jedes Rekrutierungsprozesses sollte im Rahmen der Konkretisierung des Anforderungsprofils («Profiling») festgehalten werden, welche Werte für das Unternehmen wichtig sind. Die Messung der Wertvorstellung der Kandidat/innen erfolgt dann mehrstufig. Bereits im Rahmen des Erstgesprächs empfiehlt es sich, einen Frageblock «Werte» gezielt einzubauen. Als Einstieg kann durchaus gefragt werden: «Welche Werte sind Ihnen in Ihrem Führungsalltag wichtig?» oder «Wenn wir Ihre Kollegen fragen, welche Werte für Sie wichtig sind, was würden diese antworten?» Selbstverständlich werden Sie das Thema weiter vertiefen wollen. Wenn Sie die Top-Kandidaten in der Findungskommission haben, dann helfen auch kleine «Cases» zu anspruchsvollen Führungs- oder Kommunikationsaufgaben, um zu verstehen, wie eine Führungsperson funktioniert und welches das zugrundliegende Werteverständnis ist. Also z.B. wie eine Führungsperson Vertrauen aufbaut oder welche Bedeutung Wertschätzung, Abholen von Meinungen, Einbezug, Präzision oder Geschwindigkeit haben. Zur Abrundung helfen selbstverständlich auch Erkenntnisse, wie und wo sich ein Mensch ausserhalb des beruflichen Umfeldes engagiert. Unerlaubt sind dabei aber Fragen zu Religion oder politischer Gesinnung.
Es wäre aus unserer Sicht demnach verfehlt anzunehmen, dass die Wertvorstellungen von Führungspersonen mit den eigenen deckungsgleich sind. Versuchen Sie möglichst konkret auszuloten, wie der Fit zwischen den gewünschten und effektiv vorhandenen Werten einer Führungsperson ist. Bereits das aktive Ansprechen dieses wichtigen Themas im Erstgespräch, der Findungskommission und am Schluss im Rahmen der Referenzgespräche bringt einen erstaunlichen Erkenntnisgewinn. Das Erkennen von Haltungen - oder wie wir es am Anfang beschrieben haben von «Attitudes» - ist ein zentraler Erfolgsfaktor bei der Rekrutierung von Führungskräften.
Dr. Michèle Etienne und Dr. Kurt Aeberhard sind Partner bei Innopool AG – Strategieberatung und Executive Search im Gesundheitswesen.