«Wöchentlich erhalte ich mindestens eine Blindbewerbung»

Heinz M. Schwyter war CEO von Homegate, der grössten Immobilien-Plattform im Land. Jetzt strukturiert er die ambulante Grundversorgung im Zürcher Tösstal neu. Das Interview – über Effizienz und Markt, Zeitdruck und Begeisterung in der Spitex.

, 18. Januar 2018 um 07:11
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Die Spitex Mittleres Tösstal geriet vor einigen Jahren in eine schiefe Finanzlage. Warum?
Begonnen hat alles 2015. In kurzer Zeit verstarben mehrere Kunden mit viel Betreuungszeit, und es gab Heimeintritte. Die Mitarbeitenden waren nicht mehr ausgelastet, doch die Löhne mussten bezahlt werden. Damals wurden möglichst hohe Arbeitspensen angestrebt. Man war überzeugt, dass man nur so die gewünschte Pflegequalität erreichen konnte. Ende 2016 betrug das Defizit rund 225'000 Franken. Als die «frohe» Botschaft eines Defizits Mitte Jahr den Vorstand erreichte, war es bereits zu spät.
Was geschah dann?
Die drei Vertragsgemeinden Wila, Wildberg und Turbenthal übernahmen das Defizit vorläufig – allerdings mit der Auflage, dass das Geld zurückfliesst. Weiter haben wir entschieden, dass ich die Spitex-Leitung übernehme, in einem befristeten Teilzeitpensum von 40 Prozent.
Wie haben Sie die finanzielle Steuerung verbessert?
Wenig spektakulär. Die Buchhaltung haben wir an einen Spezialisten für Spitex-Abrechnungen ausgelagert. Neu sitzt der Finanzausschuss des Vorstands monatlich zusammen und analysiert die Zahlen. Früher gab es solche Sitzungen vierteljährlich. Heute wissen wir spätestens am vierten Arbeitstag im neuen Monat, wie wir im Vormonat gearbeitet haben und können unsere Rechnungen an die Klienten verschicken. Die Finanzzahlen sind immer Thema an unserer monatlichen Teamsitzung. Alle Mitarbeitenden kennen sie.
Heinz M. Schwyter leitet die Spitex Mittleres Tösstal mit rund 35 Mitarbeitenden, die rund 7700 Menschen versorgen. Hauptberuflich führt Heinz M. Schwyter ein Beratungsunternehmen, das Firmen der Immobilienbranche bei der Digitalisierung unterstützt. Heinz M. Schwyter ist zudem Gemeinderat in Turbenthal.
Bis Mitte 2015 war Heinz M. Schwyter CEO der Homegate AG. Davor arbeitete Heinz M. Schwyter in verschiedenen Positionen bei den Axa Winterthur. 
Was haben Sie operativ gemacht?
Wir haben dafür gesorgt, dass die richtigen Leute am richtigen Ort eingesetzt werden. Beispielsweise ist die Planung nun bei einer Mitarbeiterin gebündelt, die auch noch andere Aufgaben hat. Wir haben sofort wieder einen Mitarbeiterpool eingeführt. Das gibt uns mehr Flexibilität. Zusammen mit meinem Team habe ich dafür gesorgt, dass Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung wieder überall richtig gelebt werden. Ich habe drei tolle Teamleitungen: sie sind bestens qualifiziert zu entscheiden, was unsere Klienten brauchen. Schliesslich haben wir in die Arbeitsinstrumente investiert.
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Ein Beitrag aus dem Spitex-Report:

Unabhängige Übersicht für Entscheider
Haben Sie auch Ihr Leistungsangebot angepasst?
Wir bieten die üblichen Kernleistungen an, ambulante Pflege und Hauswirtschaft. Und wir haben mit Spitex-Plus-Leistungen angefangen. Darunter verstehen wir Begleitung, Aktivierung, Aufräumen, Ernährung et cetera. Neu haben wir zusammen mit einem externen Dienstleister einen Notrufservice aufgebaut. Dieser Service ist für Spitex-Klienten erhältlich, aber nicht nur. Wer den Service will, bekommt ihn.
Was ist die Überlegung dahinter?
Wir sind die ersten beim Kunden, wenn jemand zu Hause Unterstützung braucht. Egal was es ist. So gewöhnen sich die Leute an uns. Die Hürde sinkt, und später werden auch andere Leistungen abgerufen.

«Auch Spitex-Organisationen müssen Geld verdienen!»

Ihre Massnahmen zielen darauf ab, Geld zu verdienen. Darf das eine NPO-Spitex?
Ja natürlich – auch Spitex-Organisationen müssen Geld verdienen! Mich stört der Begriff «NPO-Spitex» übrigens. Er suggeriert, dass am Ende irgendwer da ist und ungedeckte Kosten bezahlt. Diesen «Irgendwer» gibt es nicht.
Wie gehen Ihre Mitarbeitenden mit dem Zeitdruck bei den Klienten um? Wie mit der Rolle, zunehmend als «Verkäuferinnen» ihrer Leistungen aufzutreten?
Ich stelle fest: die berühmten fünf Minuten Zeit für einen Schwatz finden sie immer wieder in ihrem Alltag – und zwar ohne irgendeine Vorgabe zu beugen. Das Verkaufen der eigenen Leistung gehört mit zum Job und macht sie stolz, wenn sie am Monatsende die entsprechenden Zahlen sehen.
Im Kanton Zürich unterstützen die Gemeinden die Hauswirtschaft. Als Gemeinderat müssten Sie ein grosses Interesse haben, dass möglichst wenig Stunden Hauswirtschaft angeboten werden.
Hauswirtschaft und Betreuung sind eine Kerndisziplin einer Spitex-Organisation und boomen bei uns im Moment. Bei Hauswirtschaftsleistungen geht es um weit mehr als bloss um Reinigungsarbeiten. Unsere Mitarbeitenden vor Ort sprechen mit den Klienten und sehen, ob weitergehende Pflege oder Betreuung benötigt wird. Ich bin überzeugt: Mittel- und langfristig wird es für Gemeinden teurer, wenn sie die Spitex-Hauswirtschaft nicht mehr finanziell unterstützen.
Wie gehen Sie mit dem Fachkräftemangel um?
Ich kann das Gerede darum nicht nachvollziehen: Wöchentlich erhalte ich mindestens eine Blindbewerbung. Wir konnten noch immer jede Stelle besetzen, auch wenn wir qualifiziertes Personal gesucht haben.
Ihr Rat, wenn eine Spitex-Organisation finanziell in Schieflage ist?
Unbedingt Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung zusammenbringen. Zudem die richtigen Personen am richtigen Ort einsetzen. Geld in gute Arbeitsinstrumente investieren. Schliesslich die Weiterbildung der Mitarbeitenden fördern. Wir Führungskräfte haben eine Verantwortung dafür, dass unsere Mitarbeitenden marktfähig sind und bleiben.
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