Pflege- und Betreuungspersonen, welche im Auftrag einer Spitex- oder Betreuungs-Firma so genannte «Live-in-Betreuung» in Privathaushalten machen, sind dem Arbeitsgesetz unterstellt und müssen deshalb die tägliche Ruhezeit einhalten. Diese darf auch nicht durch kurze Pikett-Einsätze unterbrochen werden.
Teure Folgen
So hat es das
Bundesgericht entschieden. Mit weitreichenden Konsequenzen: Eine solche Betreuung können Spitex-Anbieter nur noch mit einem Schichtbetrieb von mindestens zwei Personen gewährleisten. Die Kosten könnten sich dadurch verdoppeln und der Bedarf an Pflegefachkräften steigen.
Trotzdem Einzelbetreuung
Nun gibt es aber Anbieter, welche dieses Urteil nicht zu berücksichtigen scheinen. Sie bieten nach wie vor «Live-In»-Betreuung durch eine einzige Angestellte an. Solche Firmen wie «Daheimbleiben» oder «Home-Instead» versichern dennoch, «sämtliche Rahmenbedingungen des Arbeitsgesetzes» einzuhalten.
Nachgefragt
Ob das stimmt, hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zu beurteilen. Medinside hat deshalb den zuständigen Ressortleiter Fabian Maienfisch gefragt.
Er sagt klar und deutlich: «Eine tatsächliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch eine einzige Arbeitnehmerin ist nicht kompatibel mit dem Arbeitsgesetz.»
Eine Frage der Interpretation
Dann räumt er aber auch ein, dass die Anbieter von «Live-In-Betreuung» dies trotzdem tun: Sie interpretieren einfach einen Teil der Präsenzzeit als Pausen.
Es ist offenbar derzeit nicht restlos geklärt, wie die Präsenzzeit in einem solchen Arbeitsverhältnis zu beurteilen ist. Sind es wirklich Pausen oder ist es Arbeitszeit, wenn die Angestellten jederzeit herbeigerufen werden können und helfen müssen?
Keine Arbeit auf Abruf
Für den Gesundheitsökonom Heinz Locher, der selber vor kurzem einen Betreuungsdienst gegründet hat, ist klar: «In dieser Branche braucht es geregelte Einkommen und klare Arbeitszeiten; nicht Rund-um-die-Uhr-Dienste und Arbeit auf Abruf.
Ein Graubereich
Marcel Durst, der Geschäftsführer der Vereinigung der Privat-Spitex-Firmen, sagt, was das Problem bei der Beurteilung von «Live-In-Betreuung» ist: «Rufbereitschaft gilt nicht schon als Arbeitszeit, sondern erst, wenn die Person tatsächlich abgerufen wird.»
Für Marcel Durst gibt es einen Graubereich, ab wann genau eine Hilfeleistung als Arbeitseinsatz und somit Arbeitszeit zählt. Er gibt ein Beispiel: «Ist es Arbeitszeit, wenn man ausserhalb der definierten Arbeitszeit zusammen am Jassen ist und dabei schnell hilft, aufs WC zu gehen?»
Ausnahmsweise möglich?
Für Durst ist aber auch klar: «Sobald eine zu betreuende Person rund um die Uhr auf Unterstützung angewiesen ist, kann es nicht durch eine einzige Arbeitskraft abgedeckt werden.» Er glaubt aber, dass eine «grösstenteils selbständig lebenden Person, welche nur zu ganz bestimmten und planbaren Zeiten Unterstützung braucht», in einem «Live-In»-Modell von einer einzigen Person betreut werden könne.
Persönlich könnte er sich vorstellen, dass in so einem Fall zusätzlich zur im Haushalt lebenden Betreuungsperson eine weitere Person auf Abruf zur Verfügung steht, zum Beispiel über eine nahe gelegene Spitex-Zentrale.
«Schweizer Spitex hält sich ans Gesetz»
Durst verhehlt auch nicht, dass es Anbieter gibt, welche sich nicht an das Gesetz halten und Dumping-Angebote für die Rund-um-die-Uhr-Betreuung machen. Er sagt: «Während sich unsere Mitgliederbetriebe als zugelassene Schweizer Spitex keine solche Verfehlungen erlauben können, existieren offenbar noch immer Anbieter aus dem Ausland, welche sich um die geltenden Bestimmungen foutieren.»
Er ist klar für geregelte Arbeitszeitbedingungen ohne die derzeit existierenden Graubereiche. Er sagt aber auch, dass der Privat-Spitex-Verband seine eigenen Mitglieder nicht daraufhin kontrolliere, ob sie das Arbeitsgesetz einhalten. Das sei Aufgabe des Seco und der Kantone.
Seco ist noch am «Klären»
Das Seco wiederum hat noch keine klare Haltung gefunden. Es will mit den Spitex-Firmen laut Fabian Maienfisch klären, «wie die Präsenzzeit in einem solchen Arbeitsverhältnis zu beurteilen ist und welche Grenzen unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmenden gesetzt werden müssen.»