Ein Urteil, das uns alle teuer zu stehen kommt

Das Bundesgerichts-Urteil zur Sonder-Entschädigung für Notfall-Praxen ist weder im Sinne der Kosteneffizienz noch der Versorgungssicherheit: Eine Einschätzung von Nationalrätin Sarah Wyss.

Gastbeitrag von Sarah Wyss, 22. Juli 2024 um 22:00
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«Der Bundesrat sollte die Verordnung ändern»: Autorin Sarah Wyss  |  Bild: Pino Covino / sarahwyss.ch
Das Bundesgerichtsurteil vom 24. Juni 2024 kann weitreichende Folgen für die Gesundheitsversorgung und die Kosten haben: Es hält fest, dass zusätzliche Pauschalen nur abgerechnet werden dürfen, wenn die Konsultation ausserhalb der regulären Sprechstunden stattgefunden hat.
Ich masse mir nicht an, das Urteil eines Gerichtes zu werten. Aber ich konstatiere, dass das Urteil weder im Sinne der Kosteneffizienz noch der Versorgungssicherheit ist.
Sarah Wyss ist Nationalrätin der SP und dabei Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Beruflich arbeitet sie als Co-Leiterin Management der Direktion für Medizin und Pflege der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern UPD.
Doch beginnen wir von vorne: Mit der Dringlichkeit-Inkonvenienzentschädigung deckt der Einzeltarif Tarmed Leistungen ab, welche ursprünglich bei Notfällen ausserhalb der regulären Praxisöffnungszeiten erbracht wurden. Der Tarmed ist veraltet (ja, das wissen wir), und die Zeit hat sich gewandelt. Sogenannte Permanences (Gruppenpraxen mit verlängerten Öffnungszeiten) finden Anklang – einerseits weil sie einem Bedürfnis der Patient:innen entsprechen, andererseits, weil es kein Verlustgeschäft ist.
Sie wurden aber auch zu einer wichtigen Säule der Versorgung. Denn viele dringliche Arztbesuche können damit günstiger als auf dem klassischen Notfall behandelt werden (diese erhalten übrigens die Dringlichkeit-Inkonvenienzentschädigungen für alle Tageszeiten, weil sie immer offen haben – und damit keine Öffnungszeiten).
Nun hat das Bundesgericht jedoch entschieden, dass diese Dringlichkeits-Inkonvenienzentschädigung bei Permances nicht mehr bezahlt werden, wenn diese Arztbesuche innerhalb der angegebenen Öffnungszeiten stattfinden. Dies, weil es sich bei den verlängerten Öffnungszeiten um ein Businessmodell handelt.
«Hier wird ersichtlich, wie falsch die Profitorientierung und der Wettbewerb im Gesundheitswesen sind.»
Ja, das ist korrekt: Mit Permanences kann Geld verdient werden (wie überall), sonst würde es diese wohl kaum geben. Aber sie tragen eben auch zur Versorgungssicherheit und zur Vermeidung von noch teureren klassischen Notfallbesuchen bei. Und deshalb wurden sie zu einem wichtigen Pfeiler der Grundversorgung (ob wir das nun toll finden oder nicht).
Das Bundesgerichtsurteil könnte nun weitgehende Folgen haben – und ich sage es klar: Hier wird ersichtlich, wie falsch die Profitorientierung und der Wettbewerb im Gesundheitswesen sind.
  • Permanences lohnen sich nicht mehr, sie schliessen. ➡️ Immer mehr Patienten und Patientinnen gehen auf die Spital-Notfallstationen, was tendenziell teurer (und oftmals aus Versorgungssicht nicht notwendig) ist.
  • Permanences verkürzen ihre Öffnungszeiten auf dem Papier, um weiterhin die Dringlichkeits-Inkonvenienzentschädigungen zu erhalten. ➡️ Das Ziel der «Kosteneinsparung» wird damit umgangen.
Fazit: Ganz gleich, wie die Reaktionen sein werden – es wird mit dem Urteil weder günstiger noch besser. Es ist deshalb erstens angesagt, das veraltete Tarifsystem Tarmed endlich zu ersetzen (Tardoc), aber auch den Bundesrat zu ersuchen die Verordnung dahingehend zu ändern, dass die Versorgung gewährleistet bleibt.

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