«Früher hatten wir vier oder fünf Bewerbungen pro Woche. Das ist vorbei.»

Ausbildung, Bürokratie, Arbeitszeit: In Zürich suchen die Chirurgen generationenübergreifend nach Verbesserungen. Wie genau? Ein Interview mit Federico Mazzola und Daniel Frey.

, 30. September 2024 um 10:00
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«Der Fachbereich ist sehr eigen, was auch die Weiterbildung erschwert»: Chirurgen Federico Mazzola (li.), Daniel Frey.
Herr Frey, Herr Mazzola, man hört öfters, dass unter jungen Ärzten Frust herrsche – gerade in der Chirurgie. Ist es so?
Federico Mazzola: Es ist so.
Daniel Frey: Wenn man im OPs für einmal fragt: Was beschäftigt Euch? – dann wird immer die sinnbefreite administrative Tätigkeit genannt. Dies frustriert am meisten. Es kommen keine Einwände gegen Sprechstunden, gegen den Dienst, gegen den Notfall. Aber wenn die Assistenzärzte hören, dass sie sich um die Kodierung kümmern sollen, die sei nämlich wichtig für die Einnahmen; und wenn sie dann für die Kodierung überall Diagnosen zusammensuchen müssen: Dann frustet das. Und die schlecht strukturierte Weiterbildung ärgert auch.
Wo zeigt sich diese schlechte Strukturierung zum Beispiel?
Frey: Da sagt man zum Beispiel einem jungen Arzt, er sei im kommenden Jahr dran mit Blinddarm-Operationen. Aber plötzlich kommt irgendein Crack von einem Unispital, und der benötigt solche Operationen noch für seine Habilitation – also macht er sie. Dann muss so ein Assistenzarzt nach einem halben Jahr wieder wechseln, er kommt in ein neues Spital, und wo landet er? Auf dem Notfall. Wo er schon war. Und so weiter.
Mazzola: Wir haben auch viele Anfragen zum Thema Umgang, Ton, Betriebskultur. Da bestehen grosse Unterschiede, gewiss. Aber es gibt Umfelder, wo man es nicht wagen würde, sich nach einer Arbeitszeitreduktion zu erkundigen. Dazu braucht es auch im oberen Kader einen Mentalitätswandel. Gerade in der Chirurgie.
Daniel Frey ist Präsident der Zürcher Chirurgengesellschaft CGZH. Hauptberuflich leitet der Viszeralchirurg das CZO Chirurgiezentrum Zürcher Oberland. Frey war von 2013 bis 2023 Departementsleiter und Chefarzt Chirurgie am GZO Spital Wetzikon.
Federico Mazzola ist Präsident des Verbands der Zürcher Assistenz- und Oberärzt:innen VSAO Zürich. Derzeit arbeitet er als Assistenzarzt für pädiatrische Chirurgie am Kinderspital Zürich.
Frey: Wir haben in unserer Task Force auch die Rolle der Chefärzte diskutiert. Früher war es klar: Ein Chefarzt war habilitiert und Professor und operierte vor allem. Aber so etwas qualifiziert einen nicht für eine Leitungsposition. Ich denke, es braucht heute eine Leadership-Ausbildung für diese Stellen. Man kann die neue Generation sehr wohl führen – wenn es auf Augenhöhe ist.
In Zürich arbeiten der kantonale Assistenzärzte- und Oberärzt:innen Verband VSAO und die Fachgesellschaft der Chirurgen CGZH für einmal zusammen, um die Lage des Nachwuchses zu verbessern. Was sind die ersten Ergebnisse Ihrer Task Force?
Frey: Gemeinsam betrachten wir vier Pfeiler – Administration, Weiterbildung, Dienstplanung, Finanzen. Wir, die Fachgesellschaft, können vor allem bei der Weiterbildung unterstützen. Dazu entwickeln wir Konzepte. Ein Beispiel: In jedem Spital macht die chirurgische Klinik zahlreiche Fortbildungen. Warum also entwickeln die 16 Kliniken im Kanton nicht gemeinsam einen Plan? Dabei könnte jede Klinik ein Thema übernehmen – und an einem vereinbarten Zeitpunkt würden sich dann alle anderen zuschalten. Die einzelnen Kliniken müssten weniger Fortbildungs-Veranstaltungen führen, auf der anderen Seite hätten sie jeweils mehr Zuschauer. Und am Ende würden sich die Spitäler vielleicht noch enger vernetzen.
«Die Zahl der stationären Patienten sinkt eher, folglich gibt es pro auszubildendem Arzt weniger Eingriffe.»
Mazzola: Wir haben die Zusammenarbeit mit der CGZH gesucht, weil hier, in der Chirurgie, die Weiterbildung sehr unstrukturiert ist; weil die Koordination schwierig ist; und weil das Arbeitsgesetz hier in mehrerer Hinsicht verletzt wird. Der Fachbereich ist sehr eigen – in den Strukturen, bei den Arbeitszeiten, notfallbedingt –, was auch die Weiterbildung erschwert.
Die operativen Eingriffe sind in den letzten Jahren weniger stark gestiegen als die Zahl der auszubildenden Ärzte: Spielt dies ebenfalls hinein?
Frey: Absolut. Die administrativen Arbeiten nahmen zu, also stellte man in den Chirurgien neue Assistenzärzte ein. Aber ihre Zahl verlief nicht parallel zur Entwicklung der Patientenzahlen. Die Zahl der stationären Patienten sinkt eher, folglich gibt es pro auszubildendem Arzt weniger Eingriffe.
Mit anderen Worten: Junge Ärzte werden zur Bewältigung der Bürokratie missbraucht.
Frey: Genau. Natürlich stellt sich die Frage: Bilden wir zuviele Chirurgen aus? Würden weniger ausgebildet, hätten die Assistenzärzte besseren Zugang zu Operationen. Darum sollten wir erst einmal abklären, wieviele Chirurgen der Kanton überhaupt benötigt. Da haben wir keine Ahnung. Denn ein grosser Teil macht zu Beginn wenig bis gar keine Operationen, bis es ihnen dann verleidet und sie den Fachbereich wechseln. Wenn sie nicht sogar den Beruf verlassen.
Auch wenn Sie es nur vage wissen: Kommen genügend junge Chirurgen nach? Oder laufen wir da in ein schweres Problem hinein?
Mazzola: Wir wissen, dass etwa 15 Prozent während der Facharzt-Ausbildung den Beruf verlassen. Das gilt allerdings für alle Disziplinen, nicht nur für die Chirurgie. Bei den Medizinstudierenden überlegen sich 30 Prozent, den Beruf gar nicht anzutreten. Es gibt sicher Kliniken, die Mühe haben, ihre Stellen mit jungen einheimischen Assistenzärztinnen und -Ärzten zu besetzen.
Frey: Das kommt immer häufiger vor, gerade in der Chirurgie. Zu meiner Zeit als Chefarzt in Wetzikon hatten wir vier oder fünf Bewerbungen pro Woche. Das ist vorbei.

Teamwork von Fachgesellschaft und VSAO

Im Kanton Zürich wollen die Chirurgengesellschaft CGZH und der Verband der Zürcher Assistenz- und Oberärzt:innen VSAO gemeinsam die Arbeits- und Weiterbildungs-Bedingungen in der Chirurgie verbessern. Im Juli bildeten sie dazu eine Task Force, die konkrete Massnahmen erarbeiten soll. Federico Mazzola und Daniel Frey sind Mitglieder. Schwerpunktthemen der Task Force sind die Weiterbildung, die bürokratische Belastung und die Arbeitszeiten der jungen Mediziner.
Früher benötigte man 1’000 Eingriffe für den Facharzt-Titel, heute reichen 350, und da werden noch Teileingriffe gezählt.
Frey: Das ist korrekt. Denn man hat gemerkt, dass 1’000 Eingriffe gar nicht mehr erreichbar sind. Früher konnte man den Facharzt in fünf bis sechs Jahren machen. Ohne einen strukturierten Weiterbildungsplan benötigt man heute acht Jahre. Das ist eigentlich inakzeptabel. Denn für die Schwerpunkt-Ausbildung braucht es danach ja nochmals sechs Jahre. Also: Nach 6 Jahren Studium und 14 Jahren Weiterbildung ist man auf der Stufe Oberarzt/Leitender Arzt. Eine lange Zeit.
Die Führung der Weiterbildung wird also zum Hauptthema Ihrer Task Force?
Frey: Absolut. Man muss auch klarstellen, wer lehrt. Es gibt Leute, die es nicht können und nicht wollen. Also sollen sie es auch nicht. Umgekehrt müsste die Arbeit in der Ausbildung stärker motiviert und belohnt werden. Heute wird keiner mit Punkten ausgezeichnet, wenn er Symposien veranstaltet oder Kurse gibt. Da gibts nur Ruhm und Ehre. Dies sollte ändern. Wir sind sogar der Meinung, dass es auch im Lohngefüge abgebildet werden sollte: Wer nicht lehrt, erhält weniger.
Mazzola: Die Kliniken erhalten vom Kanton den Auftrag, auszubilden, und dafür bekommen sie je nach Fachgebiet einen kantonalen Beitrag zwischen Fr. 15’000 und 25’000 pro Vollzeitstelle. Aber im Kanton Zürich können die wenigsten Spitäler genau beziffern, wo das Geld hinfliesst. Kommt hinzu, dass die Weiterbildung in keinem Tarif irgendwie dargestellt wird. Wenn mir ein erfahrener Arzt assistiert und ich länger benötige, weil mir die Erfahrung fehlt, dann macht er damit sogar Minus.
Die Task Force will aber auch mehr Geld für die Weiterbildung an sich generieren. Woher kann das kommen?
Frey: Wenn der Kanton will, dass Ärzte ausgebildet werden sollen, dann von dort. Genf bezahlt 80’000 Franken pro Arzt und Jahr. 15’000 wie in Zürich sind auch okay – wenn das Geld dort ankommt, wo es hinsoll. Meine Vorstellung ist, dass es in einen Fort- und Weiterbildungsfonds der Kliniken fliesst.
Mazzola: Und eben: In einer idealen Welt wäre die Weiterbildung auch in einem Tarif dargestellt.

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