Nach dem Ständerat empfiehlt nun auch die Gesundheitskommission des Nationalrats die Abschaffung des Vertragszwangs. Sie folgt damit einer
Motion von Peter Hegglin, Mitte-Ständerat aus dem Kanton Zug sowie Präsident des Verbandes der kleinen und mittleren Krankenkassen (RVK).
Eine Allianz von medizinischen Leistungserbringern hat gegen die Motion lobbyiert, bisher erfolglos. Der Dachverband der Spitäler H+, eigentlich ein Arbeitgeberverband, agumentiert
in einer Medienmitteilung in gewerkschaftlicher Manier: Die Vertragsfreiheit «würde nicht nur zu einer massiven Bürokratisierung und Kostensteigerung im Gesundheitswesen führen, sondern auch die Versorgungssicherheit und die freie Wahl der Leistungserbringer durch die Patient:innen gefährden.» Zudem würde so der Einfluss der Krankenversicherer auf die Steuerung der Gesundheitsversorgung bedrohlich zunehmen.
Felix Schneuwly ist Head of Public Affairs beim Vergleichsdienst Comparis und Präsident des Bündnisses Freiheitliches Gesundheitswesen. Zuvor war er unter anderem Delegierter für Public Affairs bei Santésuisse.
Wirklich? Ich versuche hier mit etwas ökonomischer und psychologischer Evidenz die Angst der Leistungserbringer-Allianz vor etwas mehr Wettbewerb und intelligenter Regulierung zu dämpfen. Denn Wettbewerb ist eine Grundlage unseres Wohlstandes, aber dies wurde insbesondere im Krankenversicherungsgesetz KVG in den letzten 12 Jahren durch immer mehr staatliche Planwirtschaft und Regulierungsbürokratie beschädigt.
Freiheiten sind Chancen
In einem funktionierenden Wettbewerb sind Preise keine willkürlichen Zahlen, sondern sie liefern präzise Signale. Wer sie unterdrückt, kappt den Draht zur Realität. Natürlich liefern von den Tarifpartnern (also von Kartellen) ausgehandelte und von Behörden genehmigte Preise, die ausschliesslich auf der Basis anrechenbarer Kosten und ohne Berücksichtigung der Qualität eruiert werden, keine präzisen Signale. Insofern sind die Ängste der Leistungserbringer-Kartelle vor dem Ende der Zwangsheirat mit dem Krankenkassen-Kartell verständlich.
Wenn eine Seite der Tarifpartner das Ende der Zwangsheirat verlangt, sollte die andere Seite nicht nur vor den Risiken dieser neuen Freiheit warnen, sondern auch die Chancen prüfen. Im Gesetzgebungsprozess ist das mit einer Regulierungsfolgeabschätzung zwar vorgesehen, wird aber immer seltener wirklich seriös gemacht.
Sollten beide Räte der Motion Hegglin zustimmen, hat der Bundesrat den Auftrag, dem Parlament eine KVG-Revision mit der Vertragsfreiheit und einer Regulierungsfolgeabschätzung zu unterbreiten.
«Hätte die Finma bei den Zusatzversicherungen die Macht der Versicherten mit der Einführung einer Freizügigkeit gestärkt – und nicht die Macht der Versicherer –, wäre der Wettbewerb auf der Basis eines Kräftegleichgewichts gestärkt worden.»
Es ist nicht einzusehen, warum Vertragsfreiheit die Macht der Versicherer stärken sollte. Ein Blick auf die Spitalzusatzversicherungen ist hier hilfreich: Bis zu den zweifelhaften Interventionen der Aufsichtsbehörde Finma garantierte jeder Krankenversicherer der eigenen Kundschaft die freie Spitalwahl. Deshalb wussten Spitäler und Belegärzte, dass jeder Versicherer mit jedem Spital und jedem Belegarzt einen Vertrag abschliessen muss, um das abgegebene Versprechen einzuhalten. Ohne den Druck der Finma hätten die Krankenversicherer den faktischen Vertragszwang nicht aufgehoben.
Hätte die Finma die Macht der Versicherten mit der Einführung einer Freizügigkeit gestärkt – und nicht die Macht der Versicherer gegenüber den Belegärzten und Spitälern –, wäre der Wettbewerb auf der Basis eines Kräftegleichgewichts gestärkt worden.
Bei den Versicherungsmodellen funktioniert's
Fast 80 Prozent der Grundversicherten haben ein alternatives Versicherungsmodell (AVM). Abgesehen von den Hausarztlisten einiger Versicherer ist die Basis der AVM Vertragsfreiheit. Und weder der Bundesrat noch eine Kantonsregierung muss einen AVM-Vertrag genehmigen. Genau diese Freiheit ist der Grund, weshalb es auch nach dem wuchtigen Nein der Bevölkerung zur Managed-Care-Vorlage immer mehr innovative AVM gibt und sich immer mehr Versicherte für solch ein Modell entscheiden.
Und in AVM-Verträgen werden Effizienz und Qualität belohnt, nicht bloss Mengen auf der Basis anrechenbarer Kosten vergütet.
Aber, und das ist der entscheidende Punkt: Die AVM-Vertragspartner sind nicht Verbände wie bei den Tarifverträgen – es sind Unternehmen. Die Verbände übernehmen ebensowenig unternehmerische Verantwortung für die Tarifverträge wie die Behörden, die sie genehmigen. Das gilt übrigens auch für die vom BAG genehmigten Krankenkassenprämien.
Würden die Leistungserbringer-Verbände ihre kompetitivsten Mitglieder fragen, wäre Vertragsfreiheit auf der Basis von transparenter und vergleichbarer Qualität unbestritten.
Letzteres ist nämlich im Krankheitsfall mit Abstand am wichtigsten. Da Verbände aber stets auf die Ängste der Mitglieder in den hintersten Reihen Rücksicht nehmen müssen, sind sie oft gezwungen, schlanke und intelligente Regulierung zu verhindern.
«Nur wer unzufriedene Kundinnen und Kunden, Patientinnen und Patienten verlieren kann – auch an ausländische Konkurrenz –, gibt jeden Tag alles für sie.»
Und wer die gesunden und kranken Versicherten in den Mittelpunkt stellt, muss sich überlegen, ob diese zur Krankenkasse oder zum medizinischen Leistungserbringer die stärkere Bindung haben. Die meisten von ihnen wechseln lieber die Kasse als die Ärztin, den Apotheker oder die Therapeutin.
Die Angst der Leistungserbringer-Verbände vor der Macht der Kassen ist also unbegründet – nicht aber die Angst vor ihrem Machtverlust, wenn gemäss KVG nicht mehr die zwangsverheirateten Verbände die Macht hätten, sondern die gesunden und kranken Versicherten im Kräftegleichgewicht mit Leistungserbringern und Krankenversicherungen, die als Unternehmen jeden Tag für ihre Kundschaft besser werden. Und nur wer unzufriedene Kundinnen und Kunden, Patientinnen und Patienten verlieren kann – auch an ausländische Konkurrenz –, gibt jeden Tag alles für sie.
Genau diese wettbewerbliche Freiheit ist der wichtigste Pfeiler unseres Wohlstands. Das geht in der Regulierungshektik ohne ordnungspolitischen Kompass in Bundesbern oft verloren.