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Vertragszwang lockern? Nur mit klaren Spielregeln.
Das Parlament will den Vertragszwang im KVG aufweichen. Ein Blick in die Niederlande zeigt: Ohne Regelung der Vergütung für vertragslose Anbieter bliebe die Reform wirkungslos.
Kommentar von Mattias Maurer und Marco Varkevisser, 28. März 2025 um 10:04In der Schweiz gibt es einen Vertragszwang, der die Krankenversicherer verpflichtet, mit jedem zugelassenen Leistungserbringer einen Vertrag abzuschliessen und dessen Leistungen zu vergüten.
In der Frühjahrssession hat das Parlament etwas überraschend die Motion Hegglin (23.4088) an den Bundesrat überwiesen, der Titel: «Lockerung des Vertragszwangs im KVG». Als «griffiges Instrument gegen die Mengen- und Kostenexplosion» im Gesundheitswesen wird die Landesregierung beauftragt, das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) «dahingehend anzupassen, dass der Kontrahierungszwang im ambulanten und im stationären Bereich gelockert wird.»
Die Autoren
Matthias Maurer ist Dozent und stellvertretender Leiter des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie (WIG) an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW)
Marco Varkevisser ist Professor und Leiter der Forschungsgruppe Health Systems and Insurance (HSI) an der Erasmus School of Health Policy & Management (ESHPM) in Rotterdam.
Dies wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wegen der breiten Gegnerschaft von linken Parteien, Leistungserbringern sowie von Bundesrat und Kantonen kann heute leider nicht davon ausgegangen werden, dass der Vertragszwang so rasch das Zeitliche segnen wird.
Zudem zeichnet sich eine weitere Herausforderung ab. Wie die Erfahrungen aus den Niederlanden zeigen, sollte der Bundesrat bei der Ausgestaltung möglicher Lockerungen gleichwohl etwas Wichtiges frühzeitig bedenken. Es geht darum, ob beziehungsweise wie Leistungen zu vergüten wären, die von nicht vertraglich gebundenen Leistungserbringern erbracht werden.
Erfahrungen aus den Niederlanden
Das niederländische Krankenversicherungsgesetz sieht vor, dass Versicherte, die sich bei nicht vertraglich gebundenen Leistungserbringern versorgen lassen, Anspruch auf eine Erstattung haben, deren Höhe vom jeweiligen Krankenversicherer festgelegt wird. In der Begründung heisst es, dass die Höhe dieser Erstattung kein «Hindernis» für die Inanspruchnahme der Versorgung von nicht vertraglich gebundenen Leistungserbringern darstellen darf.
Dieses «Hinderniskriterium» ist zwar nicht im Gesetz selbst enthalten, doch der der Oberste Gerichtshof entschied im Jahr 2014, dass das «Hinderniskriterium» als Bestandteil des Gesetzes zu betrachten sei. Aufgrund der Rechtsauslegung durch die Gerichte werden seither die nicht vertraglich gebundenen Leistungserbringer gleichwohl in erheblichem Umfang vergütet, meist bis zu 75 Prozent, damit die Patienten unabhängig von ihrem Einkommen die volle Wahlfreiheit behalten.
Trotz der Möglichkeit des selektiven Kontrahierens werden den niederländischen Versicherten somit die Kosten der Inanspruchnahme von nicht vertraglich gebundenen Leistungserbringern weitgehend erstattet. Dies wiederum hindert die Krankenversicherer daran, wirksame Verträge mit den Leistungserbringern zu schliessen und so Betrug zu bekämpfen und die Kosten zu kontrollieren.
«Die Gesetzesanpassung müsste auch eine deutlich niedrigere Vergütung für Leistungen vorsehen, die von nicht vertraglich gebundenen Anbietern erbracht werden.»
Die Drohung eines vertragslosen Zustands läuft somit ins Leere – was die Verhandlungsposition der Versicherer schwächt. Kurz: In den Niederlanden ist der selektive Vertragsabschluss theoretisch möglich – wird aber wegen unwirksamer Rechtserlasse kaum praktiziert.
Aus der niederländischen Erfahrung mit selektiven Vertragsabschlüssen kann die Schweiz wichtige Lehren ziehen. Den Vertragszwang zu lockern und selektive Vertragsabschlüsse gesetzlich zu ermöglichen – dies schafft noch kein wirksames Instrument gegen steigende Mengen und Kosten im Gesundheitswesen.
Die nun zu erarbeitende Gesetzesanpassung sollte daher auch eine deutlich niedrigere Vergütung für Leistungen vorsehen, die von nicht vertraglich gebundenen Anbietern erbracht werden. Ersteres ist ohne Letzteres nicht möglich.
Fazit
Nicht vertraglich gebundene Leistungserbringer sollten keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Vergütung haben. Der Bundesrat tut gut daran, dies in der nun zu erarbeitenden Gesetzesanpassung so umzusetzen. Man sollte es dann den Krankenversicherern überlassen, die Höhe der Vergütung in ihren Versicherungsprodukten frei zu definieren.
Doch verstösst dies gegen die freie Arztwahl? Ganz und gar nicht. Schliesslich können die Patienten weiterhin frei wählen. Allerdings können sie die Rechnung für unzweckmässige oder unwirtschaftliche Leistungserbringung nicht mehr so einfach wie heute auf die Allgemeinheit abwälzen.
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