«Check-ups machen Menschen krank, sie machen aus Gesunden Kranke. Und zwar oft lebenslang», findet der deutsche Arzt Jürgen Windeler. In einem Interview mit der deutschen
«Ärzte-Zeitung» kritisiert der ehemalige Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln die Gesundheitspläne der Regierung.
Ein Gesetz für Statin-Rezepte
Und zwar plant der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein
«Gesundes-Herz-Gesetz». Es sieht Herz-Screenings für Erwachsene, Lipid-Screening für Kinder und die Verschreibung von mehr Statinen vor.
Lauterbach möchte das Gesetz einführen, weil die vielen Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Lebenserwartung der Deutschen fast auf den EU-Durchschnitt drücken würden.
«Europameister» beim Überleben
Schon dieses Ziel des Gesetzes stellt Windeler in Frage: Ist es sinnvoll, dass Deutschland Europameister bei der Lebenserwartung wird? Ist es so schlecht, wenn Deutschland knapp über dem EU-Mittel liegt?
Er erinnert daran, dass die Lebenserwartung von Männern in Deutschland fast fünf Jahre unter jener der Frauen liege. «Da wäre also eher ein «Gesunde-Männer-Gesetz» angebracht.»
Prävention wichtiger
Er zweifelt daran, dass mit der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Lebenserwartung der Deutschen erhöht werden könnte. Wichtig wäre vielmehr Prävention: insbesondere Bildung, Verbesserung sozialer Ungleichheit, ein Verbot von Tabakwerbung oder Alkoholwerbung.
Für Jürgen Windeler ist eine Krankheits-Diagnose immer zwiespältig. Viele Menschen würden in ihrem Leben nie einen Herzinfarkt bekommen und hätten sehr viel entspannter und ohne Statine gelebt, «wenn sie nicht irgendeinen merkwürdigen Check-up gemacht hätten», so Windeler. Er sieht keinen Mehrwert darin, gesunde Menschen zu Arztkontakten zu motivieren.
«Busse bei 7,3 Prozent Risiko?»
Neu am Gesetz ist, dass es definiert, wann Cholesterinsenker präventiv kassenpflichtig verordnet werden dürfen. Statine sollen bei einem Ereignisrisiko ab 7,5 Prozent für unter 50-Jährige zulasten der Krankenkasse verordnet werden dürfen,
Das ist laut Windeler «völlig gaga». «Wenn ich bei 7,3 Prozent Risiko ein Statin verordne, bekomme ich dann ein Bussgeld? Das ist schon sehr skurril.»
Staatsmedizin
Eine Indikationsstellung sei eine ureigene medizinische Aufgabe und gehöre nicht in ein Gesetz. «Wenn sich die Evidenzlage ändert, muss künftig der Bundestag ein neues Gesetz beschliessen, um die Verordnungsfähigkeit zu ändern. Wirklich, das ist Absurdität im Quadrat.»
Letztlich übt Windeler auch Kritik an seinen Kollegen und Kolleginnen: «Es wird dauernd über die Gefahr der Staatsmedizin geredet. Hier wird sie gerade konkret ausgelebt. Und die Ärzteschaft selbst hilft, den Boden dafür zu bereiten, indem sie sich aus der inhaltlichen Diskussion verabschiedet, sodass sich der Staat diese Medizin einverleibt.»