Bekannte Schmerzspezialisten versprechen zu viel

Umstrittene Theorien der erfolgreichen deutschen Schmerzexperten Liebscher und Bracht: Manche sind wissenschaftlich nicht haltbar.

, 10. Januar 2024 um 13:51
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Roland Liebscher und Petra Bracht in einer Gesprächssendung des NDR-Fernsehens. | NDR
Die selbst ernannten Schmerzexperten Liebscher und Bracht aus Bad Homburg versprechen in ihren Büchern und Online-Auftritten eine revolutionäre Schmerztherapie und Übungen für jeden Schmerzzustand.
Damit haben sie riesigen Erfolg: rund zwei Millionen Follower auf Youtube, über drei Millionen Likes auf Tiktok und nach eigenen Angaben über 150 Mitarbeitende.
Doch immer wieder verspreche das Paar zu viel, meldet die ARD-Sendung «Hessenschau». Roland Liebscher-Bracht ist Wirtschaftsingenieur und seine Frau Petra Bracht Allgemeinmedizinerin.

Anti-Arthrose-Quark?

Weil sie unter anderem Anti-Arthrose-Quark oder Augenübungen für mehr Sehkraft propagierten, konstatierte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen vor zwei Jahren irreführende Werbeversprechen.
Diese Empfehlungen hat das Paar mittlerweile nicht mehr auf der Website. Trotzdem gab es eine 4000-Euro-Strafe vom Gericht. Und die Verbraucherzentrale hat kürzlich auch wieder interveniert.
Dieses Mal ist die App von Liebscher und Bracht der Stein des Anstosses. Dort werde wieder mit unzulässigen Gesundheitsversprechen geworben, kritisiert die Verbraucherzentrale. Die App kostet 20 Euro pro Monat.

Nicht haltbare Studien

Auch Wissenschaftsjournalisten kritisieren das Vorgehen von Liebscher und Bracht. Die «Quarks Science Cops» bemängen in ihrem Podcast, dass die angeblich wissenschaftlichen Studien, auf welche das Paar verweist, gar nicht so wissenschaftlich seien, weil sie von eigenen Mitarbeitern durchgeführt worden seien; und weil die Therapien oft gar nicht mit einer Kontrollgruppe verglichen würden.
Umstritten ist unter anderem folgende Behauptung von Liebscher und Bracht: «Neues Knorpelwachstum ist möglich». Für die Behauptung, dass Liebscher und Bracht mit ihren Übungen Arthrose heilen könnten, fehlten belastbare wissenschaftliche Beweise.

«Es reicht nicht, sich besser zu fühlen»

Dass Patienten sich besser fühlen, sei nicht ausreichend, sagte der Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Professor Arnold Suda vom Unfallkrankenhaus Salzburg gegenüber der «Hessenschau». Es gebe einige Patienten, die mit schwerster Arthrose mit Hilfe von Bewegung, Schmerztherapie und Muskeltraining gut zurechtkommen.
Das könne man den Patienten auch sagen. Aber nicht: Wir zaubern die Arthrose weg. Das stimme nicht.

Behaupten sie oder behaupten sie nicht?

In einem wissenschaftlichen Beitrag in einer Fachzeitschrift über Orthopädie und Unfallchirurgie kommt Suda zum Schluss: Mehrere Theorien von Liebscher und Bracht seien wissenschaftlich nicht haltbar.
Liebscher und Bracht würden gar nicht behaupteten, dass sich Arthrose mit Hilfe von Muskeltraining und Schmerztherapie beseitigen liesse, argumentieren die Anwälte von Liebscher und Bracht gegen diesen Vorwurf.

Studien seien transparent

Die vorgeschlagene Therapie verfolge das Ziel, Spannungen in den Muskeln und Faszien zu normalisieren und auf diese Weise arthrosebedingte Schmerzen zu lindern und Knorpelverschleiss einzudämmen. Ausserdem seien die Studien, die Liebscher und Bracht veröffentlichen, transparent nachzuvollziehen.
Facharzt Suda kommentiert das gelassen: Bewegung sei immer gut, und wer Menschen dazu motiviere, dem müsse gedankt werden. Auch gesundes Essen sei natürlich besser als fett- und salzreiche Kost.
Doch nur weil Fettleibigkeit Arthrose verschlimmern könne, lasse sich daraus nicht ableiten, dass man sich mit Ernährung davor schützen könne.

«Da verklebt nix»

Ein Anti-Arthrose-Quark sei daher zwar nicht ungesund, aber ebenfalls ein falsches Versprechen, findet Suda.
Genauso wenig seien verklebende Faszien die Ursache für chronische Schmerzen. Das wisse jeder, der Faszien kenne und Menschen operiere, betont Suda: «Da verklebt nix, da ist keine Substanz, die zu Veränderungen führt.»
Die Modelle, die Liebscher und Bracht präsentierten, seien vereinfacht und würden vermutlich deswegen gut angenommen, sagt Suda.
Auch ein Physiotherapeut kritisiert in der «Hessenschau»: Als innovativ würde er die Liebscher-und-Bracht-Methoden nicht bezeichnen. Es seien einfache Dehnübungen, die man aus der Physiotherapie schon seit Jahrzehnten kenne.
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