Berner Arzt nahm sich zu viel Zeit - jetzt muss er zahlen

Ein Berner Arzt muss den Krankenkassen 120'000 Franken zurückzahlen. Zudem kriegt er Ärger vom Kantonsarzt: Er hat unrechtmässig Medikamente abgegeben.

, 16. März 2017 um 15:03
image
  • versicherer
  • praxis
  • wzw-verfahren
  • ärzte
Er habe weniger Patienten als andere; zudem seien sie eher älter und daher kostenintensiv. Und da er als Pensionierter mehr Zeit für seine Patienten nähme, sei halt alles teurer. Etwa so versuchte ein Arzt aus der Agglomeration Bern die überrissenen Arztrechnungen zu rechtfertigen. 
Das Schiedsgericht ging nicht darauf ein. Der Arzt muss laut «Berner Zeitung» den Krankenkassen gegen 120'000 Franken zurückerstatten. Für das Jahr 2013 sind es 72'750 Franken, für 2014 sind es 45'689 Franken. Dazu kommen rund 18'000 Franken Verfahrens- und Parteikosten.
Santésuisse hatte das Verfahren eingeleitet und das Schiedsgericht angerufen. Aufgrund der Daten seiner Mitglieder musste der Verband feststellen, dass die vom Arzt in Rechnung gestellten Kosten im Vergleich zu anderen Ärzten deutlich über dem Toleranzwert von 130 Prozent liegen. 

Der Arzt belegt Überarztung

«Ein Arzt kann sich den ungenügenden wirtschaftlichen Erfolg nicht über die obligatorische Krankenversicherung ausfinanzieren lassen», heisst es im Gerichtsurteil. Und wenn er sich freiwillig mehr Zeit nehme als erlaubt, so belege er selber die Überarztung.
Damit nicht genug: Der Arzt gab laut Urteil etliche Medikamente gleich selber ab und stellte keine Rezepte aus. Das hätte er laut kantonalem Recht gar nicht tun dürfen, weil sich in der Umgebung Apotheken befinden.

«Lukrative Selbstdispensation»

Bei dieser «lukrativen Selbstdispensation» lag der Mann «weit über dem Durchschnitt» – erneut ausserhalb der Toleranz. Es liege keine Praxisbesonderheit vor, so das Schiedsgericht, sondern ein «von ökonomischen Interessen geleiteter Entscheid».
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es wird aber wegen der rechtswidrigen Medikamentenabgabe auch noch dem Kantonsarzt zugestellt. Laut der «Berner Zeitung» droht dem Arzt nun auch eine Busse wegen der Verletzung seiner beruflichen Pflichten. 

Der Berner Arzt ist nicht der teuerste

Wie oft kommt es vor, dass Ärzte wegen zu hoher Kosten zur Kasse gebeten werden? «Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung wurden 2014 ein Verfahren gegen 75 Ärzte eingeleitet ─ entweder vor einer paritätischen Kommission oder vor einem Gericht», erklärt Santésuisse auf Anfrage.
Dies sind rund 0,3 Prozent der mehr als 20‘000 Ärzte, die registriert sind und die zulasten der obligatorischen Krankenversicherungen abrechnen dürfen. Mit 24 Ärzten hat sich Santésuisse auf Rückzahlungsforderungen geeinigt. Der Kassenverband schätzt, dass sich damit jährlich rund 25 Millionen Franken an Prämiengeldern einsparen lassen.
Bis 2 Millionen Franken
Die 120'000 Franken, die der Berner Arzt den Krankenkassen zurückzahlen sollte, gehört schon zu den teureren Fällen – aber nicht zu den teuersten.
Ein Arzt aus dem Seeland, der die Krankenkassen während Jahren übervorteilt hatte, schuldet den Krankenkassen 2 Millionen Franken.  Und ein Augenarzt aus der Ostschweiz musste vor ein paar Monaten den Krankenversicherern 545‘000 Franken zurückzahlen.
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Und noch ein Notfall steht auf der Kippe

Im Hausarzt-Notfall Seeland haben über ein Viertel der Ärzte gekündigt – «aus Frustration».

image

Notfallpauschalen: Politiker machen Druck auf Versicherer

Im Ständerat fordert eine erste Motion höhere Tarife für Notfalleinsätze und Permanencen.

image

Zürich: Teil-Einigung im Tarifstreit, Taxpunktwert steigt um 2 Rappen

Die Ärztegesellschaft des Kantons Zürich einigte sich mit HSK und CSS auf einen Wert für die ambulant tätigen Mediziner.

image

Notfallpauschalen: Bundesrat kann nichts tun

Die Landesregierung sieht keine Möglichkeit, dass Bern kurzfristig eingreift. Allerdings wird sie im Tardoc-Verfahren speziell auf die Dringlichkeits-Entschädigungen achten.

image

Cyberattacke auf Praxisgruppe Vidymed

Die Waadtländer Gruppe kämpft mit den Folgen eines Cyberangriffs, der ihre IT-Systeme lahmlegte. Ein Krisenstab sucht allfällige Datenlecks.

image

Krise bei Permanencen und Praxen: Wird der Bundesrat aktiv?

Was bewirkt der Bundesgerichts-Eingriff bei den Notfall-Entschädigungen? Was kann die Politik tun? Dazu muss die Landesregierung am Montag Stellung nehmen.

Vom gleichen Autor

image

«Kritiker der Komplementärmedizin haben eine zu einseitige Sicht»

SP-Ständerätin Franziska Roth kritisiert im Interview die Haltung von Gegnern der Komplementärmedizin. Sie verkennen den Wert der ärztlichen Expertise.

image

Physiotherapie: Die Stolpersteine im Tarifstreit

Wie weiter im Tarifstreit in der Physiobranche? Die Frage ist: Welcher Streit – jener über die Tarifstruktur oder jener über den Preis?

image

So funktioniert die Sterbehilfe in Europa

In mehreren Ländern Europas ist die Sterbehilfe entkriminalisiert worden. Ein Überblick.