Das Urteil lautet auf 30 Tagessätze, ausgesetzt auf Bewährung. Zugleich müssen die beiden Ärztinnen insgesamt 60'000 Franken Entschädigung an die Eltern überweisen sowie 46'000 Franken an Gerichtskosten übernehmen. Dies entschied das Bundesgericht in einem Rekursfall.
Es ging um ein 11 Monate altes Mädchen, das im Mai 2009 ins Spital von Morges eingeliefert worden war – mit Mittelohrentzündung, starkem Fieber, Zittern, Brechanfällen. In einem Telefongespräch mit dem CHUV in Lausanne schloss der angefragte Chefarzt des Neuropädiatrischen Dienstes nicht aus, dass eine Meningitis vorliegen könnte. Dies wurde aber nicht weiter untersucht und behandelt.
Per Helikopter ans CHUV
Am nächsten Morgen wurde das Kind dann – nach fortgesetzten Anfällen und Fieberschüben in der Nacht – per Helikopter von Morges nach Lausanne geflogen. Gut einen Tag später verstarb es.
Dass der Verdacht der bakteriellen Hirnhautentzündung nicht weiter verfolgt worden war – diese Nachlässigkeit hatte das Bundesgericht nun abschliessend zu beurteilen. Und zwar waren eine Oberärztin und eine Chefärztin vor den Schranken, nicht aber die Assistenzärztin, welche das Kind zur Erstbetreuung im Notfall augenommen hatte.
«Den Spielraum überschritten»
Der Entscheid lautet auf fahrlässige Tötung,
homicide par négligence. «Selbst wenn der Arzt eine grosse Bandbreite hat bei seinem Entscheid, was in einem Fall zu tun und nicht zu tun ist, haben die Rekurentinnen hier den Spielraum überschritten, da sie nicht alles in ihrer Macht stehende unternahmen, um das Risiko einer bakteriellen Meningitis auszuschliessen»,
schreiben die drei Richter in ihrem Urteil.
Der Entscheid, hier nichts zu unternehmen, sei nicht zu verteidigen, denn die Ärztinnen müssten sich der Risiken der Meningitis bewusst sein – und auf der anderen Seite wären die zur Rettung notwendigen Schritte erstens leicht und zweitens sicher gewesen.
Stiftung für pädiatrische Forschung
Das Waadtländer Kantonsgericht erkannte dann auf eine «négligence fautive», auf eine fehlerhafte Nachlässigkeit, und
befand unter anderem, dass die Ärztinnen den Eltern 60'000 Franken an Entschädigungsgeldern zu zahlen hätten. Dieser Entscheid wiederum wurde von den Angeklagten ans Bundesgericht weitergezogen.
Die betroffenen Kaderärztinnen brachten unter anderem vor, dass der beratende CHUV-Spezialist den Meningitis-Aspekt mit grossen Reserven vorgebracht hatte – dies sei im Urteil des kantonalen Gerichts falsch berücksichtigt worden. Zudem hatte das Kind in der kritischen Nacht weder Herzrasen (Tachykardie) noch Hyperventilation (Tachypnoe), womit das Gesamtbild in dieser Phase doch auch auf anderes deuten konnte.
Das Bundesgericht hielt dazu aber fest, dass in einem Fall wie diesem eine alternativlose und sichere Abklärung unabdingbar gewesen wäre: «In einem pädiatrischen Notfall wie hier hätten die notwendigen Abklärungen mit höchster Priorität durchgeführt werden müssen.»