Das Gesundheitssystem stellt die Schweizer Bevölkerung vor grosse Herausforderungen: Das zeigt die neuste Untersuchung von Careum. Die Stiftung hat im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit im Frühling 2020 die Gesundheitskompetenz der Schweizer Bevölkerung unter die Lupe genommen. Gesundheitskompetenz bezeichnet die Fähigkeit einer Person, gesundheitsrelevante Informationen beschaffen, verstehen, beurteilen und anwenden zu können, um im Alltag Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken.
Problematik hat seit 2015 zugenommen
Die aktuellen Studienergebnisse zeigen, dass 49 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer eine geringe Gesundheitskompetenz aufweisen. Sie haben folglich Schwierigkeiten, mit Gesundheitsinformationen umzugehen und sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden. Dieser Anteil hat im Verlauf der letzten fünf Jahre leicht zugenommen (siehe Abbildung unten). Im Vergleich zur Erhebung 2015 bekunden die Befragten insbesondere mehr Schwierigkeiten beim Anwenden von Gesundheitsinformationen sowie in den Bereichen Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung.
Die grösste Herausforderung stellt gemäss Careum weiterhin das Beurteilen von Informationen dar. Auch haben viele Personen Mühe damit, Gesundheitsentscheidungen basierend auf Medieninformationen zu treffen oder Informationen zum Umgang mit psychischen Problemen zu finden. Zudem werden die Orientierung im Gesundheitssystem und der Umgang mit digitalen Informationsangeboten gemäss den aktuellen Studienergebnissen als schwierig empfunden: Über 70 Prozent weisen in diesen beiden Bereichen eine geringe Gesundheitskompetenz auf.
Soziale Faktoren spielen grosse Rolle
Die Erhebung bestätigt, dass die Gesundheitskompetenz eng mit sozialen Faktoren verknüpft ist. Personen, die finanzielle Schwierigkeiten haben, tieferen sozialen Schichten angehören, wenig soziale Unterstützung erhalten sowie Schwierigkeiten mit der lokalen Landesprache aufweisen, haben im Schnitt eine geringere Gesundheitskompetenz.
Die Resultate belegen zudem, dass Personen mit einer hohen Gesundheitskompetenz sich tendenziell gesundheitsförderlicher verhalten, sich gesünder fühlen und das Gesundheitssystem seltener in Anspruch nehmen.
Handlungsbedarf nötig
Die Studienergebnisse zeigen deshalb einen deutlichen Handlungsbedarf: Die Stärkung der Gesundheitskompetenz bietet grosses Potenzial für die öffentliche Gesundheit und die Eindämmung der steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Dabei sollten vor allem die Gesundheitskompetenz im digitalen Bereich und bei der Orientierung und Navigation im Gesundheitssystem sowie sozial und gesundheitlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen in den Fokus genommen werden.
Da Interventionen auf der individuellen Ebene allein nicht ausreichen, sind Massnahmen und Ansätze auf der strukturellen und organisationalen Ebene gefragt, welche die betreffenden Personen sowie ihr Umfeld und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einbeziehen.
Der Fokus sollte daher in erster Linie bei Organisationen, Institutionen, Systemen und deren Fachpersonen liegen. Sie können durch die Anpassung ihrer Prozesse und Strukturen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass sich Personen mit geringer Gesundheitskompetenz besser im Gesundheitssystem bewegen können. Zum Beispiel durch die Verwendung von leicht verständlicher Sprache oder mit Angeboten zur Unterstützung bei der Beurteilung von Gesundheitsinformationen sowie bei der Orientierung im Gesundheitssystem.
Den Schlussbericht finden Sie hier.
So wurde die Untersuchung durchgeführt
Im Rahmen dieser Studie wurden 2’502 in der Schweiz wohnhafte, erwachsene Frauen und Männer befragt. Diese repräsentative Stichprobe ermöglicht eine detaillierte Analyse der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung sowie einzelner Bevölkerungsgruppen. Die Daten sind nebst Alter und Geschlecht auch repräsentativ für die drei Sprachregionen der Schweiz. Die Datenerhebung erfolgte im März und April 2020 mittels computergestützter Online-Interviews (CAWI, 2'312 Interviews) und Interviews via Telefon (CATI, 190 Interviews). Der Fragebogen bestand aus insgesamt 90 Fragen.
Er umfasste den Kurzfragebogen des «Health Literacy Survey European Questionnaire» bestehend aus 12 Fragen (HLS-EU-Q12), zehn zusätzlichen Fragen aus der Langversion (HLS-EU-Q47), Fragen zu Determinanten und Konsequenzen der Gesundheitskompetenz sowie Fragen zur digitalen Gesundheitskompetenz und zur Navigations-Gesundheitskompetenz, d. h. die zur Navigation und Orientierung durch das Gesundheitssystem notwendigen Informationen in unterschiedlicher Form finden, verstehen, beurteilen und anwenden zu können, um die bestmögliche Versorgung für sich oder nahestehende Personen zu erhalten.
Index der generellen Gesundheitskompetenz (GK) im Zeitvergleich. (zvg)